Schwarzes Blut
und lebt noch immer zu Hause? So zum Fürchten kann das Knäblein doch gar nicht sein.«
»Schön, daß du deinen Humor nicht verloren hast. Aber gib mir noch ein paar genauere Tips.«
»Nimm sie als Geisel. Droh damit, sie umzulegen. Er wird im Laufschritt anmarschieren.«
»Daran habe ich auch schon gedacht.«
»Dann tu es doch. Sieh aber erst zu, daß du Yaksha von ihm wegkriegst. Bestimmt kann dir Yaksha verraten, wie man ihn aufhalten kann.«
»Du liest und schreibst zu viele Bücher. Glaubst du denn wirklich, es steckt ein magisches Geheimnis in der Geschichte hier?«
»Du bist magisch, Sita. Du steckst voller Geheimnisse, die du noch nicht mal selber kennst. Krishna hat dich aus einem bestimmten Grund leben lassen. Diesen Grund mußt du herausfinden, und die Situation wird sich wie von selbst auflösen.«
Was er sagt, berührt mich. Von meinem Traum hatte ich ihm gar nicht erzählt. Zu schwer jedoch wiegen Zweifel und Schmerz, als daß ich sie von Worten allein hinwegwaschen lassen könnte.
»Krishna hat nur Unsinn im Sinn«, sage ich. »Man erzählte sich, daß er manchmal völlig grundlos Dinge tat. Einfach nur, weil er es eben gerade so wollte.«
»Dann mach du doch auch Unsinn. Leg Eddie rein. Die Jungs bei uns auf der Schule, die Football spielen, sind alle größer und stärker als ich. Na und? Sie sind ein Haufen von Idioten. Ich reiss’ ihnen jederzeit den Arsch auf.«
»Wenn ich heute und morgen abend überlebe, dann krieg’ ich dich ran mit deiner Prahlerei. Dann steck’ ich deinen Football-Kumpels Wort für Wort, was du gerade über sie erzählt hast.«
»Alles klar.« Seine Stimme wird weich. »Ray ist genug. Stirb du mir nicht auch noch, Sita.«
Wieder bin ich den Tränen nahe. »Ich ruf dich an, sobald ich kann.«
»Versprochen?«
»Großes Indianer-Ehrenwort.«
Er stöhnt. Ich spüre, daß er Angst um mich hat. »Paß auf dich auf.«
»Na klar doch«, sage ich.
Mich in das abgesperrte Gebiet hineinzuschleichen fällt mir nicht schwer. Sobald niemand herschaut, springe ich einfach von Dach zu Dach. Mit einem Eiswagen im Schlepp wieder rauszukommen dürfte allerdings nicht ganz so simpel werden. Sämtliche Ausfahrten sind von Polizeiwagen blockiert. Das ist aber noch meine geringste Sorge. Etwa dreißig Meter über dem Boden bewege ich mich vorwärts, ohne einen Laut von mir zu geben. Der Eiswagen steht tatsächlich noch immer an seiner Stelle. Eine regelrecht greifbare Aura von Schmerz umgibt ihn wie ein Schwarm schwarzer Insekten eine Leiche ohne Grab. Furcht lastet schwer auf mir, als ich von meinem erhöhten Standort aus auf den betonierten Gehweg neben dem Wagen springe. Mir ist, als sei ich in einem schwarzen Brunnen voller Schlangen gelandet, die sich winden und krümmen. In unmittelbarer Nähe ist niemand, aber ein deutlicher Geruch von Schlangengift hängt in der Luft. Schon bevor ich überhaupt das Schloß der Eiswagens öffne, weiß ich, daß Yaksha drin ist, und zwar in erbärmlichem Zustand.
Ich öffne die Tür.
»Yaksha?« flüstere ich.
Irgend etwas regt sich hinten im Kühlwagen.
Eine seltsame Gestalt spricht.
»Vanille, Erdbeer, Schokolade – was darf’s denn sein, junges Mädchen?«
fragt Yaksha matt.
Meine Reaktion überrascht mich selbst. Wahrscheinlich, weil ich so lange
Zeit Angst vor ihm hatte, ist es schwer für mich, einfach auf ihn zuzugehen,
selbst jetzt, als ich darauf aus bin, ihn als Verbündeten zu gewinnen. Aber seine
alberne Frage hat bei mir eine Welle von Mitleid ausgelöst. Allerdings schaue
ich nicht allzu genau hin, was aus ihm geworden ist. Ich will es gar nicht
wissen. Jedenfalls noch nicht.
»Ich hol’ dich hier raus«, sage ich. »Gib mir zehn Minuten.«
»Meinetwegen auch fünfzehn, Sita.«
Ich drücke die Tür wieder zu. Nur Polizeiwagen dürfen hier im Viertel ein
und aus fahren. Noch nicht mal die Presse hat die Straßensperren hier
überwunden, was verständlich ist. Schließlich werden ja selbst in Los Angeles
nicht täglich zwanzig Leute auf einmal eingeäschert, obwohl die Sache als
solche hier in der Gegend so ungewöhnlich nun auch wieder nicht ist. Mein Plan steht fest. Ich muß mir einen Streifenwagen organisieren, vielleicht
noch eine marineblaue Polizeimütze, um meine blonden Haare zu verdecken.
Ich schlendere gelassen auf das Lagerhaus zu, als ich – ja, wer hätte das denn
gedacht? – auf die zwei Bullen stoße, die mich neulich draußen vor dem
Kolosseum angehalten haben. Wachtmeister Donut und sein junger
Wunderknabe.
Weitere Kostenlose Bücher