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Schwarzes Echo

Schwarzes Echo

Titel: Schwarzes Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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sich Harry Bosch unbeholfen wie ein Mann, der schrecklich gehemmt und aus der Übung war. Wie bei den meisten ersten Malen, die er erlebt hatte, war es nicht gut. Sie dirigierte ihn mit den Händen und ihrem Flüstern. Und hinterher war ihm, als müsse er sich entschuldigen, tat es aber nicht. Sie hielten einander in den Armen und dösten etwas, und er hatte den Geruch von ihrem Haar in der Nase. Derselbe Apfelduft, der ihm am Abend vorher in seiner Küche aufgefallen war. Bosch war von ihr ganz hingerissen und wollte am liebsten nichts anderes mehr riechen. Nach einer Weile küßte er sie wach, und sie liebten sich noch einmal. Diesmal brauchte er keine Anweisungen, und sie brauchte auch ihre Hände nicht. Hinterher flüsterte Eleanor: »Glaubst du, man kann auf dieser Welt allein sein und dabei nicht einsam?«
    Er antwortete nicht gleich, und sie sagte: »Bist du allein oder bist du einsam, Harry Bosch?«
    Darüber dachte er einen Moment nach, während ihre Finger zärtlich die Tätowierung an seiner Schulter nachzeichneten.
    »Ich weiß nicht, was ich bin«, flüsterte er schließlich. »Man gewöhnt sich daran, wie die Dinge sind. Und ich bin schon immer allein gewesen. Ich schätze, dann muß ich wohl auch einsam gewesen sein. Bis jetzt.«
    Sie lächelten in der Dunkelheit und küßten sich, und bald hörte er an ihrem tiefen Atmen, daß sie schlief. Viel später stieg Bosch aus dem Bett, zog seine Hose an und trat auf den Balkon, um zu rauchen. Am Ocean Park Boulevard fuhren keine Autos, und er konnte das Rauschen des Meeres hören. Im Apartment nebenan war es dunkel. Überall waren die Lichter aus, nur nicht an den Straßen. Er konnte sehen, daß die Jakarandabäume entlang der Gehwege ihre Blüten verloren. Wie violetter Schnee waren sie auf den Boden und über die Autos am Straßenrand gefallen. Bosch lehnte sich auf das Geländer und blies Rauch in den kühlen Nachtwind.
    Als er bei seiner zweiten Zigarette war, hörte er, wie die Tür in seinem Rücken aufglitt, und fühlte ihre Hände um seine Taille, als sie ihn von hinten umarmte.
    »Was ist los, Harry?«
    »Nichts, ich denke nur nach. Paß lieber auf. Karzinogen-Alarm. Hast du noch nie was vom Risiko des positiven Rauchens gehört?«
    »Passiv, Harry, nicht positiv. Worüber denkst du nach? Verbringst du die meisten Nächte so?«
    Bosch drehte sich in ihren Armen um und küßte sie auf die Stirn. Sie trug einen kurzen Mantel aus pinkfarbener Seide. Er rieb seinen Daumen in ihrem Nacken auf und ab. »Fast nie ist eine Nacht wie diese. Ich konnte nur nicht schlafen. Ich hab wohl über eine Menge Dinge nachgedacht.«
    »Über uns?« Sie küßte sein Kinn.
    »Glaube schon.«
    »Und?«
    Er strich mit der Hand an ihrem Kinn entlang.
    »Ich habe mich gefragt, woher du wohl diese kleine Narbe hast.«
    »Oh … die hab’ ich, seit ich ein kleines Mädchen war. Mein Bruder und ich sind radgefahren, und ich saß auf dem Lenker. Und wir sind diesen Hügel runtergefahren, der hieß Highland Avenue – damals haben wir in Pennsylvania gewohnt – und er hat die Gewalt über das Rad verloren. Es fing an zu schlingern, und ich hatte solche Angst, weil ich wußte, daß wir hinfallen würden. Und als er vollkommen die Kontrolle verloren hatte und wir schon flogen, schrie er: ›Ellie, dir passiert nichts!‹ Einfach so. Und weil er das geschrien hatte, behielt er auch recht damit. Ich habe mir das Kinn aufgeschlagen, aber kein bißchen geweint. Das fand ich schon immer bemerkenswert … daß er sich eher um mich Gedanken machte, als sich in so einem Augenblick um sich selbst zu kümmern. Aber so war mein Bruder.«
    Bosch nahm seine Hände von ihrem Gesicht. Er sagte: »Außerdem hab’ ich daran gedacht, daß das, was zwischen uns passiert ist, schön war.«
    »Das finde ich auch, Harry. Schön für zwei Nachteulen. Komm jetzt wieder ins Bett.«
    Sie gingen nach drinnen. Bosch verschwand im Badezimmer und putzte sich die Zähne mit dem Finger, dann kroch er unter ihre Decke. Die blauen Ziffern der Digitaluhr auf dem Nachttisch zeigten auf 2:26, und Bosch schloß die Augen.
    Als er sie wieder öffnete, zeigte die Uhr auf 3:46, und von irgendwo im Raum hörte er ein entnervendes Zirpen. Er merkte, daß er nicht in seinem eigenen Zimmer sein konnte. Dann fiel ihm ein, daß er bei Eleanor Wish war. Als er sich endlich orientiert hatte, sah er, wie sich ihre schattenhafte Gestalt neben dem Bett bückte und ihre Hände seine Sachen durchwühlten.
    »Wo ist er?« sagte sie.

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