Schwarzes Echo
nächstes sagen wollte, durfte er nur sagen, wenn er es wirklich so meinte. Und es auch tun würde.
»Nein, ich werde es ihnen nicht verraten … Aber wenn ich nicht in ein paar Tagen höre, daß du dich gestellt hast, werde ich Binh informieren. Und Tran. Denen werde ich nichts beweisen müssen. Ich werde ihnen die Geschichte in allen Einzelheiten erzählen, bis sie wissen, daß es stimmt. Und weißt du, was sie machen werden? Sie werden tun, als wüßten sie nicht, wovon zum Teufel ich rede, und sie werden mir sagen, ich soll verschwinden. Und dann werden sie dich jagen, Eleanor, und dieselbe Gerechtigkeit einklagen, die du für deinen Bruder bekommen hast.«
»Das würdest du tun, Harry?«
»Wenn ich es sage. Ich gebe dir zwei Tage, dich zu stellen. Dann erzähl’ ich ihnen die ganze Geschichte.«
Sie sah ihn an, und die schmerzvolle Miene fragte ihn, wieso.
Harry sagte: »Irgend jemand muß für Sharkey geradestehen.«
Sie wandte sich ab, legte ihre Hand auf den Türgriff und sah durch die Scheibe zu den Flaggen auf, die im Santa-Ana-Wind flatterten. Sie drehte sich nicht zu ihm um, als sie sagte: »Dann habe ich mich also in dir getäuscht.«
»Falls du den Dollmaker-Fall meinst, ist die Antwort: Ja, du hast dich in mir getäuscht.«
Mit einem matten Lächeln sah sie ihn an, als sie die Tür öffnete. Hastig beugte sie sich vor und küßte ihn auf die Wange. Sie sagte: »Leb wohl, Harry Bosch.«
Dann war sie draußen, stand im Wind und sah zu ihm herein. Sie zögerte, dann schloß sie die Tür. Als Harry anfuhr, warf er noch einen letzten Blick in den Spiegel und sah sie am Straßenrand stehen. Sie stand da und starrte zu Boden, wie jemand, dem etwas in den Gulli gefallen war. Danach drehte er sich nicht mehr um.
EPILOG
Am Morgen nach dem Veteranentag meldete sich Harry Bosch im MLK zurück, wo er von seinem Arzt scharf zurechtgewiesen wurde. Anschließend fand dieser Arzt, so schien es Harry zumindest, ein perverses Vergnügen daran, die selbstgemachten Bandagen von seiner Schulter zu reißen und dann die Wunde mit einer brennenden Salzlösung auszuwaschen. Er ruhte sich zwei Tage aus und wurde dann in den Operationssaal gerollt, wo man ein paar Muskeln befestigen wollte, die die Kugel vom Knochen gerissen hatte.
Am zweiten Tag nach dieser Operation brachte ihm eine der Schwesternschülerinnen eine Los Angeles Times vom Tag zuvor, damit er sich nicht so langweilte. Bremmers Story war auf der Titelseite, daneben das Bild eines Priesters vor einem einsamen Sarg auf einem Friedhof in Syracuse, New York. Es war der Sarg von Special Agent John Rourke. Nach dem Foto zu urteilen, waren bei Meadows’ Beerdigung mehr Trauergäste gewesen, vor allem mehr Medienleute. Aber Bosch legte das Titelblatt beiseite, nachdem er die ersten paar Absätze der Geschichte gelesen hatte und merkte, daß sie nicht von Eleanor handelte. Er blätterte zum Sportteil.
Am nächsten Tag bekam er Besuch. Lieutenant Harvey Pounds erklärte Bosch, daß er nach seiner Gesundung wieder die Mordfälle beim Revier in Hollywood übernehmen solle. Pounds sagte, keiner von ihnen habe in dieser Sache eine Wahl. Der Befehl käme aus dem sechsten Stock im Parker Center. Viel mehr hatte der Lieutenant nicht zu sagen, und den Zeitungsartikel erwähnte er mit keinem Wort. Harry nahm die Neuigkeit lächelnd und kopfnickend entgegen, wollte sich nicht anmerken lassen, was er dachte oder fühlte.
»Natürlich ist das alles davon abhängig, ob Sie nach Ihrer Entlassung den Gesundheitstest des Departments bestehen«, fügte Pounds hinzu.
»Natürlich«, sagte Bosch.
»Wissen Sie, Bosch, manche Beamte würden sich über so eine Dienstunfähigkeit freuen … wenn man sich mit achtzig Prozent des Gehalts zur Ruhe setzen kann. Sie könnten sich einen Job in der Privatwirtschaft suchen und es sich nett machen. Sie hätten es verdient.«
Ah, dachte Harry, das ist der Grund für seinen Besuch.
»Möchte das Department, daß ich das tue, Lieutenant?« fragte er. »Sind Sie der Überbringer dieser Botschaft?«
»Natürlich nicht. Das Department möchte, daß Sie tun, was Sie wollen, Harry. Ich weise nur auf die Vorteile der Situation hin. Sie wissen schon, etwas, worüber man nachdenken kann. Soweit ich gehört habe, sollen Privatdetekteien in den Neunzigern das große Geschäft werden. Es gibt kein Vertrauen mehr, wissen Sie? Heutzutage besorgen sich die Menschen heimlich den kompletten Hintergrund – medizinisch, finanziell, sexuell – derjenigen,
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