Schwarzes Echo
Geländer rum. Er starrt aufs Wasser.«
»Gewissensbisse. Vielleicht springt er ja, und wir können die ganze Sache endlich vergessen.«
Clarke kicherte über seinen lauen Scherz. Lewis nicht.
»Ja, genau. Ich denke, das wird gleich passieren.«
»Gib mir das Fernglas und ruf an. Frag nach, was Irving unternehmen will.«
Lewis reichte ihm den Feldstecher und stieg aus. Zuerst trat er an den Kofferraum, öffnete ihn und holte die Nikon heraus. Er schraubte ein langes Objektiv auf, brachte die Kamera dann zum Fahrerfenster und reichte sie Clarke.
»Mach ein Foto von ihm da draußen, damit wir Irving was vorzuweisen haben.«
Dann trottete Lewis zum Restaurant hinüber, um ein Telefon zu suchen. Keine drei Minuten später war er wieder da. Bosch stand noch immer gegen das Geländer am Ende des Piers gelehnt.
»Der Chief sagt, wir sollen die Observation unter keinen Umständen abbrechen«, sagte Lewis. »Außerdem hat er gesagt, unsere Berichte wären einen Dreck wert. Er will mehr Details und mehr Bilder. Hast du ihn fotografiert?«
Clarke war viel zu sehr damit beschäftigt, durch die Kamera zu stieren. Lewis nahm das Fernglas und sah hinüber. Bosch rührte sich immer noch nicht. Lewis wurde nicht schlau daraus. Was macht er? Denkt er nach? Wieso kommt er den ganzen Weg hierher, wenn er nachdenken will?
»Scheiß Irving, das sieht ihm ähnlich«, sagte Clarke plötzlich, ließ die Kamera auf den Schoß sinken und sah seinen Partner an. »Ja, ich hab ein paar Bilder von ihm gemacht. Genug, um Irving glücklich zu machen. Aber er tut nichts. Steht nur so da.«
»Nicht mehr«, sagte Lewis, der noch immer durch den Feldstecher sah. »Schmeiß an. Es geht los.«
Bosch verließ den Pier, nachdem er das zusammengeknüllte Hypnose-Memo ins Wasser geworfen hatte. Wie eine Blume auf rauher See hielt es sich ein paar kurze Augenblicke lang an der Oberfläche und versank. Er war entschlossener denn je, Meadows’ Mörder zu finden. Jetzt wollte er außerdem Gerechtigkeit für Sharkey. Als er über die alten Planken des Piers stiefelte, sah er, wie der Plymouth, der ihm gefolgt war, vom Parkplatz fuhr. Sie sind es, dachte er. Und wenn schon. Es war ihm egal, was sie gesehen hatten oder glaubten, gesehen zu haben. Es gab neue Regeln, und mit Lewis und Clarke hatte Bosch ganz eigene Pläne.
Er fuhr östlich auf der 10 Richtung Downtown. Er machte sich nicht die Mühe, im Rückspiegel nach dem schwarzen Wagen zu sehen, denn er wußte, er würde da sein. Er wollte, daß er da war.
Als er an der Los Angeles Street war, parkte er im Halteverbot vor dem Verwaltungsgebäude. Im zweiten Stock durchquerte Bosch eines der überfüllten Wartezimmer der Einwanderungs- und Einbürgerungsbehörde. Es roch wie in einem Gefängnis – Schweiß, Angst und Verzweiflung. Eine gelangweilte Frau saß hinter einem Schiebefenster und bearbeitete das Kreuzworträtsel der Times. Das Fenster war geschlossen. Auf der Fensterbank stand ein Ticket-Spender aus Plastik, wie man sie in Schlachtereien findet. Einen Moment später sah sie zu Bosch auf. Er hielt seine Marke hoch.
»Kennen Sie ein Wort mit sechs Buchstaben für einen ewig traurigen und einsamen Mann?« fragte sie, nachdem sie das Fenster aufgeschoben und dann nachgesehen hatte, ob ihre Fingernägel Schaden genommen hatten.
»Bosch.«
»Wie?«
»Detective Harry Bosch. Lassen Sie mich rein. Ich möchte zu Hector V.«
»Da muß ich erst fragen«, sagte sie leicht schmollend. Sie flüsterte etwas ins Telefon, dann griff sie nach Boschs Etui mit der Marke und legte einen Finger auf den Namen im Ausweis. Dann hängte sie ein.
»Er sagt, Sie können kommen.« Sie drückte den Summer für die Tür neben dem Fenster. »Er sagt, Sie kennen den Weg.«
Bosch schüttelte Hector Villabonas Hand in einem Einsatzraum, der noch um einiges kleiner war als Boschs.
»Du mußt mir einen Gefallen tun. Ich brauche etwas Zeit am Computer.«
»Dann mal los.«
Das mochte Bosch an Hector V. Er fragte nie, was oder wieso , bevor er einen Entschluß faßte. Er war ein Dann-mal-los-Typ. Er spielte keine nutzlosen Spielchen, vo n denen Bosch inzwischen überzeugt war, daß jeder in seiner Branche sie spielte. Hector rollte seinen Stuhl an einen IBM auf einem Tisch an der Wand und gab sein Paßwort ein. »Du willst Namen durchlaufen lassen, stimmt’s? Wie viele?«
Bosch wollte ihm ebensowenig vormachen. Er zeigte ihm die Liste mit den vierunddreißig Namen. Hector stieß einen leisen Pfiff aus und sagte:
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