Schwarzes Echo
gewesen, dann aber seit seiner Suspendierung und der Versetzung von der Spezialeinheit zu den Hollywood Detectives nie mehr hierher gekommen. An dem Tag, an dem er es erfahren hatte, war sein Schreibtisch von Lewis und Clarke, zwei Gorillas von der Abteilung für Innere Angelegenheiten, leergeräumt worden. Sie hatten sein Zeug im Revier von Hollywood auf dem Schreibtisch abgeladen, an dem die Mordfälle bearbeitet wurden, und dann auf seinem Anrufbeantworter zu Hause die Nachricht hinterlassen, wo er seine Sachen finden könne.
Jetzt, zehn Monate später, ging er wieder über den geweihten Flur der Eliteeinheit und freute sich, daß Sonntag war. Er würde keine bekannten Gesichter treffen. Kein Grund, sich abzuwenden.
Zimmer 321 war leer, abgesehen von einem Detective, der Wochenenddienst hatte und den Bosch nicht kannte. Harry zeigte auf den hinteren Teil des Zimmers und sagte: »Bosch, Hollywood Detectives. Ich muß mal die Kiste da hinten benutzen.«
Der Detective vom Dienst, ein junger Bursche mit einem Haarschnitt, der noch aus seiner Zeit beim Marine Corps stammen mußte, saß am Schreibtisch und blätterte in einem Waffenkatalog. Er drehte sich zu den Computern an der Rückwand um, als wollte er sichergehen, daß sie noch da waren, und sah dann Bosch wieder an.
»Schlage vor, Sie benutzen den in Ihrer eigenen Abteilung«, sagte er.
Bosch ging an ihm vorbei. »Ich habe nicht die Zeit, nach Hollywood rauszufahren. In zwanzig Minuten hab’ ich eine Autopsie«, log er.
»Wissen Sie, ich hab’ schon von Ihnen gehört, Bosch. Ja. Die Fernsehserie und das alles. Sie waren früher mal auf diesem Flur. Früher mal.«
Der letzte Satz hing in der Luft wie Smog, und Bosch versuchte, ihn zu ignorieren. Als er nach hinten zu den Computerterminals ging, konnte er nicht anders, als einen Blick auf seinen alten Schreibtisch zu werfen. Er fragte sich, wer ihn jetzt wohl benutzte. Alles lag durcheinander, und ihm fiel auf, daß die Karten auf dem Rolodex neu und ohne Eselsohren waren. Nagelneu. Harry drehte sich um und sah den Detective vom Dienst an, der ihn noch immer beobachtete.
»Ist das dein Schreibtisch, wenn du nicht gerade Sonntagsdienst hast?«
Der Junge lächelte und nickte.
»Du hast es verdient, Jungchen. Du bist genau der Richtige für den Job. Das Haar, das blöde Grinsen. Du wirst es weit bringen.«
»Nur weil man dich hier rausgeschmissen hat, weil du eine wandelnde Ein-Mann-Armee bist … ach, leck mich am Arsch, Bosch, du bist doch erledigt.«
Bosch zog einen Stuhl auf Rollen von einem Schreibtisch heran und schob ihn vor den IBM-PC an der Rückwand. Er schaltete ein, und ein paar Sekunden später erschienen die bernsteinfarbenen Buchstaben auf dem Bildschirm: HITMAN – Homicide Information Tracking Management Automated Network.
Einen Augenblick lang lächelte Bosch über das unaufhörliche Bedürfnis des Dezernats nach Akronymen. Es kam ihm vor, als hätte man jede Einheit, jede Einsatzgruppe und Computerakte auf einen Namen getauft, dessen Akronym etwas Elitäres vermitteln sollte. Für die Öffentlichkeit waren Akronyme gleichbedeutend mit Taten, mit enormem Personalaufwand zur Bekämpfung lebensbedrohlicher Probleme. Da gab es HITMAN , COBRA, CRASH, BADCATS, DARE. Hundert weitere. Irgendwo im Parker Center sitzt jemand, der den ganzen Tag nichts anderes macht, als sich eingängige Akronyme auszudenken, dachte er. Computer hatten Akronyme, sogar Ideen hatten Akronyme. Wenn deine Spezialeinheit kein Akronym hatte, dann warst du in diesem Dezernat einen Dreck wert.
Als er im HITMAN-Programm war, erschien ein Fragenfeld zu dem gesuchten Fall, und er füllte die Leerstellen aus. Dann tippte er drei Stichworte ein: »Mulholland-Damm«, »Überdosis« und »vorgetäuschte Überdosis«. Dann drückte er die entsprechende Taste, und eine halbe Minute später erklärte ihm der Computer, daß ein Suchlauf durch achttausend Mordfälle, die auf der Festplatte gespeichert waren und etwa zehn Jahre umfaßten, nur sechs Treffer gebracht hatte. Bosch rief einen nach dem anderen auf. Die ersten drei waren ungeklärte Morde an jungen Frauen, die man Anfang der Achtziger tot neben dem Damm gefunden hatte. Sie alle waren erwürgt worden. Bosch warf einen kurzen Blick auf die Information und ging zum nächsten weiter. Der vierte Fall betraf eine Leiche, die vor fünf Jahren im Wasserbecken getrieben hatte. Die Todesursache war nicht Ertrinken gewesen, doch Näheres war nicht bekannt. Bei den letzten beiden
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