Schwarzes Fieber
schweren Tasche fast zusammenknickte. Der Zeitungsausträger. Er grüßte mich scheu.
Ich hatte mich in Heidelberg beworben, weil es die erste interessante Stellenausschreibung gewesen war, die mir auf den Tisch flatterte. Kripochef der vermutlich kleinsten Weltstadt der Welt, wieso nicht? Meine Chancen waren gleich null, hatte ich gedacht und ohne jeden Enthusiasmus meine Unterlagen und Zeugnisse zusammengesucht. Die erste Bewerbung soll man ja immer dorthin schicken, wo man keine Aussichten hat. Zum Üben sozusagen. Aber dann war alles ganz anders gekommen, aus Gründen, die nun wieder mit Theresa zu tun hatten. So hatte ich unser Haus in der Nähe von Karlsruhe verkauft, und mittlerweile wohnten wir seit einem knappen Jahr in einer wunderschönen, geräumigen Altbauwohnung in der Weststadt.
Meine Töchter hatten sich mit dem Verlust ihres Elternhauses abgefunden, neue Freunde gefunden, und inzwischen waren sie fast stolzer darauf, Heidelbergerinnen zu sein, als es manche Ureinwohner waren. Und das will etwas heißen.
Ich öffnete die Tür in der Erwartung, die Wohnung noch still zu finden. Aber in der Küche klapperten sie schon lautstark herum, die stolzen Heidelbergerinnen. Üblicherweise waren die beiden vor Mittag nicht aus den Federn zu bringen, wenn sie nicht in die Schule mussten. Ich begann, dieses Pflegepferd zu mögen.
Meine Töchter waren in ein Fachgespräch vertieft und nahmen kaum Notiz von mir. Vermutlich, weil ich kein Pferd war. Gähnend ging ich unter die Dusche. Um ins Büro zu fahren, war es zu früh, um sich noch einmal hinzulegen, zu spät.
Später, als ich schon am Schreibtisch saß, wurde mir bewusst, dass Theresa in meinem Traum dunkle Augen gehabt hatte.
Ich erzählte Balke von Runkels Heldentat, meinem gestrigen Besuch bei Susi und ihrer Vermutung, unser Mordopfer könnte irgendwo in der Nähe ihrer Bar gewohnt haben.
»Nehmen Sie sich ein paar Leute zur Unterstützung, und klingeln Sie an jeder Wohnungstür im Umkreis von, sagen wir, zweihundert Metern.«
»Stimmt.« Balke nickte aufmerksam. »Er kann ja nur irgendwo privat untergekommen sein. Wenn er in einem Hotel oder einer Pension abgestiegen wäre, dann wüssten wir das inzwischen.«
Als er gegangen war, versuchte ich eine erste Bestandsaufnahme. Der Tote war neu gewesen in der Stadt, meinte Susi. Anfang Juli war er zum ersten Mal in ihrer Bar aufgetaucht. Zwei bis drei Wochen später wurde er vermutlich ermordet. Er war immer allein in Susis Bar gekommen, hatte hier also vermutlich keine Freunde gehabt. Und offenbar auch keine gesucht. War er geschäftlich in der Stadt gewesen? Oder ein illegaler Einwanderer auf Arbeitssuche? Einer dieser abertausend Flüchtlinge aus Afrika, die Woche für Woche auf ihren brüchigen und rettungslos überladenen Booten versuchten, unseren gelobten Kontinent zu erreichen? Einer der wenigen, die es geschafft hatten? Dafür hatte er zu viel Geld in der Tasche gehabt, und vor allem hatte er es zu leicht ausgegeben. Flüchtlinge, die mit knapper Not ihr Ziel erreicht hatten, hauten ihre Ersparnisse nicht in der nächstbesten Bar auf den Kopf.
Für einen Studenten war der Mann zu alt. Zwischen fünfunddreißig und vierzig, hatte ich im Obduktionsbericht gelesen. Vielleicht ein neuer Mitarbeiter der Universität? Ein Gastwissenschaftler aus irgendeinem Land der Dritten Welt, der seine Tätigkeit erst mit Semesterbeginn Anfang Oktober aufnehmen sollte? Und noch immer war nicht auszuschließen, dass es sich um einen Angestellten der US-Army handelte. Immerhin hatte er ja Dollarscheine in der Tasche gehabt.
Unzählige Möglichkeiten gab es, und ich konnte nur hoffen, dass irgendwann irgendwo irgendwem auffallen würde, dass einer fehlte. Das geschah ja leider nicht immer. Es kommt öfter vor, als man denkt, dass ein Toter niemals identifiziert wird. Meist handelt es sich dabei um Obdachlose, Entwurzelte, die schon zu Lebzeiten niemand vermisst hat. Obdachlose gehen jedoch gewöhnlich nicht in Bars, um ihr Schlummerbier zu trinken. Die halten sich lieber an Dosen aus dem Supermarkt.
Schlummerbier. Manchmal macht unser Gehirn seltsame Bocksprünge. Und wenn’s draußen richtig dunkel wurde, ist er verschwunden …
Es kostete mich nur Sekunden, mithilfe meines Laptops herauszufinden, dass am zwanzigsten Juli Neumond gewesen war. Am sechsundzwanzigsten hatte der Motorradfahrer die Verletzte gefunden. Die Telefonnummer des Mannes herauszufinden dauerte erheblich länger, weil wieder einmal
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