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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber
Autoren: Wolfgang Burger
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sehen, und hatte eine hastige Art zu sprechen, bei der sie oft halbe Worte verschluckte.
    »Sie isst recht ordentlich«, sagte sie, als ginge es um ein krankes Haustier. »Und sie darf auch schon aufstehen. Vorhin hat sie eine Weile am Fenster gestanden und hinausgeschaut.«
    »Haben Sie versucht, mit ihr zu sprechen?«
    »Geht ja nicht. Wir verständigen uns mit Gesten. Ist schon irgendwie blöd, wenn man mit jemandem kein Wort reden kann. Aber sie ist sehr geduldig. Kein bisschen rebellisch.«
    Ein Seitenblick machte klar, dass dies nicht für alle Anwesenden galt. Als hätte sie den Blick bemerkt, hörte Frau Schreiner auf zu schnarchen. Die kleine Schwester atmete auf und sah an mir vorbei auf ein blasses Aquarell an der Wand, das eine gemütliche Hügellandschaft zeigte.
    »Sie hat Angst, denk ich manchmal«, sagte sie leise. »Jedes Mal, wenn man reinkommt, guckt sie einen an, als müsse sie um ihr Leben fürchten.«
    Inzwischen hatte die Frau, über die wir sprachen, die Augen wieder geschlossen. Mit einer dezenten Explosion setzte das Schnarchen ihrer Bettnachbarin wieder ein.
    Die Schwester verabschiedete sich mit gequälter Miene und einer konfusen Handbewegung. Mir war nicht klar, ob sie vor dem Krach floh oder anderen Pflichten nachzugehen hatte. Nun stand ich hier und fühlte mich ein wenig überflüssig.
    Mir kam es vor, als hätte die stumme Frau mehr Farbe im Gesicht als bei meinen letzten Besuchen. Trotz des bitteren Zugs um den Mund wirkte sie mit sich im Reinen. Ein Mensch, der viel durchgemacht hat und nun, endlich, zur Ruhe gekommen ist. Der Verband am Hinterkopf war flacher geworden, am linken Handgelenk klebte ein großes Pflaster. Die Schläuche waren verschwunden.
    Die leichten, sonnengelben Vorhänge bauschten sich im Windhauch. Draußen stritten ein paar Spatzen. Ein seit Kindertagen vertrauter Geruch hing in der Luft: Kamille.
    Plötzlich bemerkte ich, dass die Patientin die Augen offen hatte und mich ausdruckslos betrachtete. Diesmal hielt sie meinem Blick stand.
    Wusste sie, wo sie sich befand? Vielleicht.
    Was ihr zugestoßen war, wer ihr das angetan hatte? Hoffentlich.
    Noch immer sahen wir uns in die Augen. Sie erwiderte mein Lächeln nicht. Aber ich war sicher, sie wusste, dass ich ihr Freund war.
    Mit den Geräuschen eines auftauchenden Nilpferds wälzte sich Frau Schreiner aus dem Bett, zog einen überraschend hübschen Bademantel über, fischte ein Päckchen Zigaretten aus der Schublade ihres Nachttischs und latschte ohne Gruß davon.
    Als mein Blick den der stummen Frau wieder traf, hatte sich ihre Miene verändert. Sie schien ein klein wenig zu lächeln. Als würden wir uns heimlich über die Bettnachbarin lustig machen.
    Von der Stationsärztin, einer älteren, ruhigen Dame mit vornehmer Goldrandbrille, lernte ich einiges über Amnesien, Schockzustände, vorübergehende Verluste elementarer Fähigkeiten und partielle Lähmungen nach schweren Prellungen des menschlichen Gehirns.
    »Ihr GCS-Wert liegt mal bei acht, mal bei neun. Das ist gar nicht schlecht für die Verletzungen, die sie erlitten hat.«
    »Und wofür steht GCS?«
    »Glasgow Coma Scale.«
    Immerhin so viel verstand ich: Auch die Ärzte wussten nicht so recht, woran sie waren mit ihrer Patientin. Es kommt offenbar hin und wieder vor, dass jemand nach einer schweren Gehirnerschütterung vorübergehend einige Gehirnfunktionen einbüßt. Die meisten können sich an die letzten Sekunden und Minuten vor ihrem Unfall nicht erinnern, andere wissen nicht einmal mehr, wer sie sind. Aber nur bei sehr wenigen kehrt die Erinnerung nie wieder zurück.
    »In der Regel verschwinden die Symptome im Lauf von einigen Wochen ganz von alleine«, erklärte mir die Ärztin so mitfühlend, als wäre ich ein Angehöriger. »Aber vorläufig können wir nichts ausschließen. Kann sein, dass sie bleibende Hirnschädigungen erlitten hat, kann sein, dass sie in zwei Wochen wieder herumspringt wie ein Teenager und redet wie ein Buch. Im Kernspin sehen wir nichts, keine organischen Defekte. Aber unser Gehirn ist nun einmal ein ungeheuer kompliziertes Ding. Wir begreifen trotz aller Forschung so gut wie nichts von dem, was darin vorgeht. Es gelingt uns bestenfalls, die Aktivität von ein paar Neuronen zu erfassen. Einige wenige von einhundert Milliarden. Das ist sachtes Kratzen am Lack der göttlichen Schöpfung. Mit Verstehen hat das nichts zu tun.«
    Als ich mich zum Gehen wandte, hielt sie mich zurück. »Eines noch. Sie wissen von der
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