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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Antiquariat. Ein hageres und mitleiderregend schwitzendes Ehepaar in karierten Shorts und Sandalen schleppte sich in Richtung Unibibliothek. Die beiden diskutierten leise in einer Sprache, die ich nicht verstand, und sahen sich unentwegt um, als suchten sie etwas. Aber niemand hatte Lust oder Kraft, ihnen zu helfen.
    Der Türöffner summte missmutig. Im Treppenhaus hing ein stickiger Mief, der auf jedem Treppenabsatz anders roch, und je weiter wir nach oben kamen, desto heißer wurde es. Eine schmale junge Frau mit Rastalocken und gelblicher Hautfarbe erwartete uns misstrauisch an der Wohnungstür, in deren Verglasung zwei Scheiben durch Wellpappe ersetzt waren.
    »Sie sind von der Polizei?«, fragte sie in fast akzentfreiem Deutsch. Sie trug Jeans, deren Beine ziemlich weit oben abgeschnitten waren, und ein tausendmal gewaschenes, blassblaues T-Shirt. Darunter trug sie offensichtlich nichts.
    Das Entree der Dachwohnung sah exakt so aus, wie ich mir den Flur einer Studenten-WG immer vorgestellt hatte: Kartons in allen denkbaren Größen und Farben, eine schwarz lackierte Kaffeehaus-Garderobe, der zwei Arme fehlten. An den Wänden zwei verstaubte abstrakte Ölgemälde, die mitzunehmen dem talentlosen Maler beim Auszug vermutlich zu lästig gewesen war.
    Schweigend führte uns die Frau in eine überraschend aufgeräumte und modern eingerichtete Küche mit schrägen Wänden. Dies schien der mit Abstand heißeste Raum des Hauses zu sein. Das Hemd klebte mir am Körper, und ich bekam kaum noch Luft. Unsere Gastgeberin füllte eine Kanne mit Leitungswasser und stellte drei Gläser auf den Tisch, ohne uns anzusehen. Auch Balke hechelte.
    »Bin im Moment die Einzige hier«, sagte die Frau leise und setzte sich. »Die anderen sind ausgeflogen. Semesterferien.«
    Balke schenkte wortlos ein. Wir tranken. Das Wasser war lauwarm.
    »Gut geheizt haben Sie es hier«, meinte er mit säuerlichem Lächeln.
    Sie sah auf ihre grazilen Hände. »Dafür ist es im Winter angenehm kühl.«
    »Wir würden gerne sein Zimmer sehen«, sagte Balke nach dem zweiten Glas Wasser.
    »Er ist tot, sagen Sie?« Noch immer hatte sie keinem von uns ins Gesicht gesehen. Nicht einmal Balke.
    Er erzählte ihr von dem Leichenfund. Nachdenklich betrachtete sie ihr Glas.
    »Ich weiß nur, er ist irgendwann Anfang Juli eingezogen. Joshua hat ihm sein Zimmer überlassen, der macht ein Praktikum in Kanada. Oft gesehen hab ich Rafael nicht. Wir haben Hallo gesagt und uns mal die Hand gegeben. Rafael ist ja eigentlich nur zum Schlafen hier gewesen. Die meiste Zeit war er unterwegs. Ich glaube, er hat einen Job gesucht. Paar Tage später bin ich dann abgereist. Mutter ist gestorben.«
    Ich wollte ihr mein Mitgefühl aussprechen, aber da hob sie die Hand, als wollte sie einen bösen Zauber abwehren. »Es war Zeit«, sagte sie leise. »Man muss nicht traurig sein.«
    An ihrem schlanken Hals schlenkerte eine schwere Kette aus bunten Holzkugeln. Plötzlich leerte sie ihr Glas, das sie die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, mit großen, gierigen Schlucken. »Seit Samstag bin ich zurück, und von Daniele hab ich am Telefon erfahren, dass Rafael schon länger nicht mehr hier gesehen wurde. Aber das heißt nichts. Hier ist viel Kommen und Gehen. Die Miete hat er Joshua für zwei Monate im Voraus gegeben, und so hat sich keiner groß Gedanken gemacht. Hier tauchen immer mal Leute auf und verschwinden wieder.«
    »Wir würden uns gerne das Zimmer dieses Rafael ansehen«, wiederholte ich Balkes Satz fast wörtlich.
    Mit einem Achselzucken erhob sie sich. Das Zimmer des Toten lag der Küche gegenüber, deshalb ging das Fenster nach Norden. Auch hier gab es schräge Wände, und es war nur wenig kühler als in der Küche. Balke riss das Fenster auf, aber nichts änderte sich. Die glühende Luft lag über der Stadt wie eine Heizdecke mit defektem Thermostat. Mir lief der Schweiß übers Gesicht.
    Das Zimmer war aufgeräumt und schlicht möbliert. Ein dreitüriger Schrank aus Kirschholzimitat, der vor fünfzig Jahren zum ersten Schlafzimmer eines frisch getrauten Paars gehört haben mochte. Ein robuster kleiner Tisch, vielleicht aus einer pleitegegangenen Eckkneipe. Zwei relativ neue IKEA-Stühle aus Kiefernholz sowie ein billiges Bett mit Metallgestell. Den einzigen Luxus bildeten eine teure Marantz-Stereoanlage mit riesigen Lautsprecherboxen, ein kleiner Fernseher sowie eine monumentale und verlockend bequem aussehende burgunderrote Plüschcouch.
    Das Bett war nicht gemacht.

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