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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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darf.«
    »Und wir haben natürlich nicht dauernd die Klotür im Auge gehabt«, stammelte sein Kollege schuldbewusst. »Wir sollen sie beschützen, hat’s geheißen. Keiner hat gesagt, wir sollen aufpassen, dass sie nicht abhaut.«
    Nur dem Zufall, einer aufmerksamen Schwester und der Tatsache, dass die gestohlenen Schuhe Rosana zwei Nummern zu groß waren, hatten wir es zu verdanken, dass sie jetzt wieder dort war, wo sie hingehörte. Die Patientin war der Schwester, die gerade ihren Dienst antreten wollte, vor dem Haus in die Arme gelaufen, keine fünfzig Meter vom Ausgang entfernt. Erst hatte sie noch versucht zu flüchten, dabei einen Schuh verloren und schließlich aufgegeben.
    »Okay«, seufzte ich. »Lasst mich mit ihr allein.«
    Ich drückte die Tür hinter den beiden ins Schloss und trat ans Bett unserer Ausreißerin. Wie bei unseren ersten Zusammentreffen hatte sie die Decke fast bis an die Nasenspitze gezogen. Dieses Mal flackerte Angst in ihren Augen.
    Ich bemühte mich, sie finster anzustarren, was mir heute nicht einmal besonders schwerfiel. Sollte sie jetzt nicht auf der Stelle reden, dann würde ich sie an den Schultern packen und anbrüllen. Oder festnehmen und abführen lassen. Ich hatte nun wirklich genug von dem Theater. Vielleicht war ihr idiotischer Fluchtversuch auf diese Weise sogar zu etwas gut gewesen. Die Finger, die die Decke umklammerten, zitterten leicht und waren fast weiß vor Anstrengung. Ich setzte mich.
    Wie anfangen? Mit dem Anfang. Der Rest würde sich finden.
    »Your parents had a farm in Angola«, begann ich. »Tell me about it, Mrs Ribeiro.«
    Bei der Nennung ihres wahren Namens wurden ihre Augen erst größer, dann kleiner, sie sah weg, dann wieder in mein Gesicht, blinzelte, und dann öffnete sie endlich den Mund.
    »Wonderful«, flüsterte sie mit fiebrigem Blick. »It was a paradise.«
    Sie hatte eine leicht brüchige Mädchenstimme. Und ihr Englisch klang noch schrecklicher als meines.
    In der nächsten halben Stunde redete sie fast ununterbrochen. Ich brauchte kaum zu fragen. Erst sehr langsam, mit langen Pausen, als wäre sie sich ihrer Erinnerung nicht sicher. Aber schon nach wenigen Minuten entspannte sie sich, die Stimme wurde fester, der Blick steter, die Hände hörten auf zu zittern. Und ich gewann ein völlig neues Bild von ihrer Heimat. Ich lernte Angola als ein Land kennen, wo man eine glückliche Kindheit verbringen konnte. Wo Menschen viel und gerne lachten, die schwarzen Farmarbeiter auf den Feldern sangen, von früh morgens bis in die Abenddämmerung, wenn die Mücken kamen. Ihren Vater hatte sie verehrt. In Rosanas Erzählung wurde er zum gütigen Patriarchen, das gewiss nicht sonderlich komfortable Farmhaus zum Herrensitz unter den mächtigen Bäumen eines kleinen Parks. Einen Fluss hatte es gegeben, ganz in der Nähe, wo man im Sommer baden, ja ganze Nachmittage im Wasser verplanschen konnte – zusammen mit dem kleinen Bruder Manuel, mit dem sie offenbar die meiste Zeit verbracht hatte. Sie schien ihn über alles geliebt zu haben. Raimondo, der große Bruder, kam dagegen kaum vor. Er hatte für sie damals wohl schon zu den Erwachsenen gezählt.
    Pferde hatte es gegeben, unzählige. Wollte man reiten, dann konnte man sich einfach eines nehmen, es von einem freundlichen Gehilfen satteln lassen, um es später, wenn man die Lust verloren hatte, verschwitzt und staubig zurückzugeben, in der Gewissheit, dass es liebevoll versorgt und trocken gerieben wurde. Nie schien es einen Winter gegeben zu haben auf dieser Insel der Glückseligen. Niemals war jemand krank gewesen, nie hatte man sich gestritten, und geregnet hatte es nur, wenn es nötig war, damit die Ernte nicht verdarb.
    Irgendwann war der Bürgerkrieg näher gekommen, der ja schon seit vielen Jahren tobte. Lange war er mehr Gerücht als Bedrohung gewesen. Die Eltern hatten den Kindern anscheinend nicht allzu viel von den politischen Entwicklungen und Wirren um sie herum erzählt. Jedenfalls wusste Rosana erstaunlich wenig über die Dinge, die ihr Schicksal so entscheidend beeinflusst hatten. Fast unmerklich hatten die Mienen der Schwarzen sich verändert, der Gesang auf den Feldern war spärlicher geworden, um irgendwann ganz zu verstummen.
    Und dann, in einer Sommernacht vor knapp zehn Jahren, hatte der Vater Rosana geweckt: mit einem Gewehr in der Hand und zwei Pistolen im Gürtel. Barsch hatte er sie aufgefordert, sich anzuziehen, ihr die Schlüssel eines der geländegängigen Wagen in die Hand

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