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Schwarzes Fieber

Schwarzes Fieber

Titel: Schwarzes Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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verrannt, dass meine Armee kurz vor der Kapitulation stand. Seufzend fuhr ich mir mit der flachen Hand über die Stirn, obwohl diese heute Abend ausnahmsweise gar nicht feucht war. Wie üblich saßen wir auf Lorenzos Terrasse mit der weltberühmten Aussicht. Es ging ein Lüftchen, und die Temperatur war in den letzten Stunden um einige Grad gesunken. Vielleicht war die Hitze nun endlich vorbei. Lorenzo lehnte sich in seinem leise knarrenden Korbsessel zurück und musterte mich amüsiert.
    »Stress mit den Töchtern oder mit der Arbeit?«
    »Eher Letzteres.«
    Ich berichtete ihm von meinen wenigen Fortschritten und vielen Vermutungen. Und ich erzählte Rosanas Geschichte. Aus irgendeinem Grund tat es mir gut, darüber zu reden, und Lorenzo war aufmerksam genug, keine Fragen zu stellen. Während ich sprach, sah ich auf die Stadt hinunter. Dort war die Sonne bereits untergegangen. Wenn ich meine Erzählung unterbrach, hörte ich das Summen der unzähligen Menschen dort unten, die spazieren gingen, in Biergärten plauderten und lachten, an den Neckarufern im Gras lagen, meist zu zweit, und den Abend genossen. Manchmal konnte man sogar einzelne Stimmen heraushören. Das Lachen einer Frau, den Gesang eines schon jetzt betrunkenen Mannes.
    »Ich beneide dich nicht«, sagte Lorenzo, als ich schließlich verstummte. »Die Sache macht dir zu schaffen.«
    »Man darf nicht zu sehr Anteil nehmen in diesem Job«, seufzte ich. »Sonst geht man kaputt.«
    »Und das gelingt dir nicht.«
    »Nicht immer.« Ich warf meinen König um und lehnte mich zurück.
    »Dies ist der Grund, warum du hier sitzt, mein Lieber.«
    »Was?« Ich muss in diesem Augenblick ziemlich dumm geguckt haben.
    Lorenzo nahm einen winzigen Schluck Barolo aus seinem Rotweinglas, ließ ihn im Mund kreisen, schluckte ihn hinunter.
    »Das ist der Grund, warum ich dich von der ersten Sekunde an mochte. Weil ich gespürt habe, dass du nicht kalt geworden bist bei deinem – entschuldige – schrecklichen Beruf. Nicht zynisch und bitter wie so viele, die weit weniger schlimme Dinge erleben als du.«
    Ich streckte die Beine von mir, faltete die Hände auf dem Bauch und versuchte, mich geschmeichelt zu fühlen.
    »Weißt du«, erwiderte ich nach einer Weile. »Du gerätst immer wieder in ein Dilemma, wenn du Verbrechen aufklären musst. Einerseits brauchst du die Fähigkeit, dich in andere Menschen hineinzuversetzen, ihre Gedanken zu denken, ihre Gefühle zu fühlen. Andererseits darfst du das alles aber nicht zu nah an dich heranlassen, weil du sonst irgendwann zugrunde gehst. Meine besten Ermittler waren nie die kühlen Bürokraten, die akkuraten Rechner und Technikfreaks. Die besten sind die, die sich in die Welt des Opfers versetzen können, in die des Täters. Die sich darauf einlassen.«
    Ich leerte mein Glas in einem Zug. Lorenzo zog sofort die Flasche aus dem Kühler und schenkte nach. Anfangs hatte ich noch gestutzt, dass er seinen Rotwein in den Kühlschrank legte. Aber er hatte mich darüber aufgeklärt, das sei im Süden durchaus üblich, und achtundzwanzig Grad seien auch für den sanftesten Wein nicht die richtige Trinktemperatur.
    Inzwischen lag auch das Schloss im Schatten. Nur noch der Königstuhl hatte Sonne. In der Stadt unten flammten die ersten Lichter auf.
    »Bei dir kann man so herrlich faul sein«, sagte ich, als wir uns zuprosteten.
    »Die Faulheit ist eine der vornehmsten und wertvollsten Eigenschaften des Menschen.«
    »So kann man es auch sehen«, meinte ich und lachte.
    Lorenzo blieb ganz ernst. »Wären wir nicht von Natur aus faul, dann würden wir vermutlich heute noch mit einem Stock in der Hand durch die Savannen laufen.«
    »Wieso das?«
    »Meinst du denn, wir hätten das Rad erfunden, wenn es uns Spaß machen würde, schwere Steine durch die Gegend zu schleppen? Meinst du, wir hätten Telefone, wenn wir mit Freuden zehn Kilometer zu Fuß gehen würden, um jemanden zu sprechen? Man sagt, der Krieg sei der Vater aller Erfindungen. Ich bin überzeugt, die Faulheit ist ihre Mutter.«
    »Weißt du, was das Komische an dir ist?«, fragte ich, nachdem ich gründlich über seine Theorie nachgedacht hatte. »Du machst es mir leicht, zu denken. Ich weiß nicht, wie du es anstellst, aber bei dir fühle ich mich immer viel intelligenter als sonst.«
    Lorenzo schlug sich vor Vergnügen mit beiden Händen auf die Oberschenkel.
    »Das wird wohl eher am Barolo liegen«, prustete er. »Und vorhin, als wir versuchten, Schach zu spielen, hatte ich

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