Schwarzes Fieber
ungesetzlich. Sonst wäre ihr hartnäckiges Schweigen nicht zu erklären.
Ich warf den Stift weg, lehnte mich weit zurück, betrachtete die hässlichen Leuchten an der Decke.
Wenn man einen Menschen sucht, dessen Namen und ungefähren Wohnort man kennt, dann engagiert man keinen Detektiv, sondern sieht im Telefonbuch nach. Auch von Angola aus war das möglich. Rosana hatte Zugang zum Internet gehabt. Stand dieser Jemand vielleicht nicht im Telefonbuch? Weil er eine Geheimnummer hatte, zum Beispiel? Weil er aus bestimmten Gründen nicht gefunden werden wollte? Oder weil er nicht in Heidelberg wohnte?
Wo war die Verbindung zwischen diesem Unbekannten in Nordbaden und Rosana Ribeiro in Südafrika? Der Moment, in dem ihre beiden Lebenswege sich gekreuzt, ihre Schicksale sich ineinander verhakt hatten? Wenn Krieg geführt wird, dann werden Geschäfte gemacht. Waffenhändler, Söldner, Chemiefirmen, Flugzeugbauer, Treibstofflieferanten, Fahrzeughersteller, alle dürfen liefern und verdienen. Gibt es überhaupt eine Branche, die aus einem Krieg keinen Profit ziehen kann? Am Ende sogar die Bauwirtschaft, denn schließlich muss ja alles wieder aufgebaut werden, für dessen Zerstörung man zuvor weder Mühen noch Kosten gescheut hat.
Sollte der Unbekannte sich die Farm der Ribeiros unter den Nagel gerissen haben? War er vielleicht Söldner im Bürgerkrieg gewesen? Eine illegale Goldmine wäre kein schlechtes Motiv. Aber warum hatte Rosana dann nicht schon früher für Rache gesorgt? Wollte sie warten, bis ihr Bruder tot, sie selbst frei war? Andererseits – wenn es in Angola geheime Schätze zu heben gab, warum war der Mann dann hier? Hätten ihn seine Minenarbeiter nicht bestohlen, sobald er sie nicht mit der MP in der Armbeuge bewachte?
Ich nahm den Stift in die Hand, legte ihn wieder weg. Das hatte alles keinen Sinn. Es gab zu viele Möglichkeiten, und auf die richtige war ich vermutlich noch gar nicht gekommen. Es entstand einfach kein Bild in meinem Kopf, keine Geschichte. Ich hatte zu wenige Informationen. Wenn Rosana nichts sagte, und Schweigen war ja offenbar eines ihrer großen Talente, dann würde ich so niemals weiterkommen.
Eine Weile lief ich mit den Händen auf dem Rücken in meinem Büro herum. Draußen glänzte schon wieder ein herrlicher Sommertag, den man eigentlich am Wasser verbringen sollte oder in einem Biergarten, jedenfalls nicht im Büro. Ich öffnete ein Fenster, ließ Luft herein in der vergeblichen Hoffnung auf irgendeinen Geistesblitz. Schließlich nahm ich den Hörer in die Hand, um doch Balke zu mir zu rufen. Manchmal half es ja, sich auszutauschen, die Bälle zuzuspielen. Manchmal entstand so etwas Neues, worauf man allein nicht gekommen wäre.
Aber ich entschied mich anders. Balke verfügte über dieselben Informationen wie ich. Er würde dieselben Überlegungen anstellen, dieselben Schlüsse ziehen. Was ich jetzt brauchte, war ein Mensch, der die Geschichte nicht in allen Einzelheiten kannte und über gesunden Menschenverstand verfügte.
Der gesündeste Menschenverstand, den man sich denken kann, saß zu diesem Zeitpunkt in meinem Vorzimmer. So bat ich Sönnchen zu mir. Sie setzte sich mit den Händen im Schoß auf den Besucherstuhl, während ich weiter im Kreis lief, bei offenem Fenster, durch das Kinderlachen und Verkehrsrauschen und ab und zu Straßenbahnklingeln hereindrang, und ihr erzählte, was ich über die Ribeiros wusste, über die Farm, über Huambo, den elenden Krieg, die bittere Armut.
Am Ende schwieg sie lange und sah mit krauser Stirn auf ihre cremefarbenen Pumps mit halbhohen Absätzen.
»Was ist das Wichtigste in ihrem Leben?«, fragte sie schließlich.
Ich lachte verständnislos. »Meine Töchter, meine Arbeit, meine Sekretärin …«
Nun lachte auch sie. »Nicht Sie, Herr Kriminalrat. Die Frau. Was ist das Wichtigste in ihrem Leben?«
Da brauchte ich nicht lange zu überlegen. »Jahrelang war es vermutlich ihr Bruder. Sonst hatte sie ja niemanden mehr.«
»Und der hat Aids gehabt, sagen Sie?« Sönnchen sah mich sehr ernst und nachdenklich an. »Haben Sie vielleicht eine Idee, wie ein Mensch in Afrika an Aids sterben kann, und jemand hier in der Gegend ist schuld daran?«
Ich sank auf meinen Sessel.
Ich nickte.
Und nickte noch einmal.
»Sie muss irgendwie rausgefunden haben, wie ihr Bruder sich angesteckt hat. Und vielleicht hat sie dann denjenigen gesucht, der dran schuld ist.«
Es fiel mir nicht leicht, ihr wehzutun. Aber es blieb mir keine Wahl.
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