Schwarzes Fieber
einfach wenig fährt.«
Ein Auto, das einen fünfzehn Jahre lang durch alle Höhen und Tiefen des Lebens begleitet hat, gibt man nicht so leicht auf. Obwohl ich schon zugeben musste, dass sich Runkels Opel wesentlich komfortabler und vor allem deutlich leiser gebärdete als mein alter Kombi und, wie er mir lang und breit erklärte, nur halb so viel Sprit verbrauchte.
Nach dem ersten Tunnel ging es nach rechts, dann einen steilen Berg hinauf am Schloss vorbei und irgendwann wieder hinunter. Wir kamen an der Stelle vorbei, wo Rosana gelegen hatte, und zwanzig Minuten nach unserem überstürzten Aufbruch waren wir am Ziel.
Das Haus, in dem der inoffizielle Geschwindigkeitskontrolleur wohnte, stand etwa dreihundert Meter hinter dem Ortsschild. Der Besitzer selbst hockte auf einem bunt gestreiften Klappstuhl an einem klapprigen Campingtischchen am Straßenrand. Gewiss nicht zufällig trug er ein amtlich aussehendes, hellblaues Hemd mit Krawatte zur dunklen Hose. Seine Radarfalle bestand aus zwei weißen Strichen auf der Straße ( »Abstand exakt zehn Meter, Sie können’s ruhig nachmessen« ), einer Stoppuhr und einer kleinen Digitalkamera, die er mit dem Fuß auslösen konnte, wenn er einen Temposünder ertappt hatte.
»Ich geb auch immer exakt die amtliche Toleranz von fünf Kilometern drauf. Da bin ich fair, nicht dass Sie was andres denken. Alles ganz exakt.«
Ich hatte einen Rentner erwartet, der mit seiner Zeit nichts Besseres mehr anzufangen wusste, als seinen Mitmenschen auf die Nerven zu fallen, oder einen Arbeitslosen, der vor Langeweile durchdrehte. In Wirklichkeit arbeitete Wilfried Rosenbauer als Chefverkäufer bei einem großen Autohaus im Westen Heidelbergs. Sein kurioses Hobby betrieb er vorzugsweise bei schönem Wetter am Wochenende und hin und wieder auch unter der Woche abends.
»Sie glauben ja nicht, was hier abgeht bei schönem Wetter! Ein Wunder, sag ich Ihnen, dass noch kein Kind überfahren worden ist! Ein Wunder.«
»Was machen Sie mit Ihren Fotos und den Aufzeichnungen?«
Rosenbauer, Ende vierzig, groß und in Maßen übergewichtig, hatte mächtige Schweißflecken unter den Achseln, weil der Ort seiner Amtsanmaßung trotz der fortgeschrittenen Stunde immer noch in der Sonne lag. Stolz wedelte er mit einer Liste auf kariertem Papier.
»Hier steht alles drauf. Ganz exakt: Datum, Uhrzeit, Geschwindigkeit. Meine Stoppuhr ist amtlich geeicht, damit mir keiner auf dumme Gedanken kommt. Die Kamera macht automatisch Datum und Uhrzeit auf die Bilder. Lückenlose Beweisführung, sozusagen.«
Runkel beobachtete interessiert einen bunten Heißluftballon, der in geringer Höhe über einem der bewaldeten Hügel schwebte.
»Aber was geschieht dann mit den Sachen?«, fragte ich. »Sie werden sie ja nicht in Ihr Arbeitszimmer tragen und wegschließen.«
»Einmal die Woche, immer am Montagmorgen, werfe ich Ihren Kollegen in Neckargemünd die Unterlagen in den Briefkasten. Das geschieht damit.«
»Und was machen die damit?«
Rosenbauer musterte mich rauflustig. »Raten Sie mal!«
»Nichts, vermutlich.«
»Exakt!«
Mit nie gesehener Geschwindigkeit lief sein Kopf rot an, und er begann zu brüllen, dass ich fürchtete, er würde mir ins Gesicht spucken: »Nichts machen die, genau richtig! Aber ich, ich habe zumindest meine Pflicht getan! Wenn hier wirklich mal ein Kind überfahren wird, und das kann ja praktisch täglich passieren, bin ich jedenfalls nicht schuld!« Schwer atmend verstummte er. Langsam wurde seine Gesichtsfarbe wieder normal.
Ein dunkler Rover sauste mit mindestens sechzig Sachen an uns vorbei.
»Dreißig Euro. Mindestens.« Rosenbauer sah dem Wagen fast wehmütig nach. »Ich wär ein reicher Mann, wenn ich hier Knöllchen verteilen dürfte.«
»Und Sie behalten wirklich keine Kopien hier?«
»Datenschutz. Außerdem ist es so sicherer für mich.«
»Wieso das?«
»Man hat seine Feinde«, erklärte er würdevoll. »Es gibt Leute im Dorf, die mögen es nicht, wenn man ihre Gesetzesübertretungen dokumentiert.«
»Sie haben sogar schon überlegt, ob sie nicht Geld sammeln sollen«, sagte Runkel während der Weiterfahrt nach Neckargemünd. Wir passierten das Ortsschild und mussten eine Weile an der Ampel einer unübersichtlich großen Kreuzung warten.
»Geld?« Ich fürchtete, etwas überhört zu haben. »Wer? Wofür?«
»Na, die Kollegen in Neckargemünd. Kopfgeld, damit endlich mal jemand diesen Rosenbauer umlegt.«
Das Neckargemünder Polizeirevier lag in der
Weitere Kostenlose Bücher