Schwarzes Prisma
Hautaufheller oder Hautverdunkler gekauft. Doch mit Livs milchkopifarbener Haut hatte sie keine Chance, so hellhäutig auszusehen wie eine Frau aus dem Westen von Atash. Ihre Augen waren ohnehin zu dunkel. Und mit ihrem gewellten Haar würde sie selbst mit einem Hautverdunkler nicht wie eine Parianerin wirken. Es ließ sich nicht verstecken, dass sie Tyreanerin war.
All die anderen Mädchen und Frauen würden fantastisch aussehen mit ihren großartigen Kleidern und perfekt geschminkten Gesichtern. Sie würden sich wohlfühlen, schön. Liv würde sich wie eine Närrin fühlen und aussehen wie eine Dirne.
Wie viele der Frauen, die in die Räume des Prismas gerufen wurden, gingen mit Hintergedanken dorthin? Wie viele hatten im Auftrag des einen oder anderen Landes gehandelt? Wie viele von denen, die nicht in Diensten anderer standen, hatten ihre eigenen Ziele verfolgt? Alle? Sie ging nicht nach oben, um Gavin Guile zu verführen – zur Hölle mit Aglaia und ihresgleichen –, warum also sollte sie sich so kleiden und schminken, als habe sie genau das vor?
»Zur Hölle damit«, sagte Liv. Sie fluchte nicht oft, aber in diesem Moment fühlte es sich gut an. Sie warf ein Kleid beiseite, das wahrscheinlich genauso viel gekostet hatte, wie sie während des ganzen letzten Jahres ausgegeben hatte. »Es kommt mir gelegen, genau jetzt zu ihm zu gehen.«
Die Sklavin sah aus, als wolle sie etwas erwidern, verkniff es sich dann jedoch. »Hier entlang, meine Dame.«
Nachdem sie im Aufzug der Luxlords nach oben gefahren waren, führte die Sklavin Liv zu den dort postierten Schwarzgardisten. Einer von ihnen war eine Frau, und sie durchsuchte Liv nach Waffen. Gründlich.
Liv hatte fast das Gefühl, als werde ihr Gewalt angetan. »Die Schwarzgardisten nehmen ihre Aufgabe sehr ernst, nicht wahr?«, fragte sie, als sie sie endlich zu dem führten, was Liv für die Tür des Prismas hielt.
»Habt Ihr irgendeine Ahnung, was es für die Welt bedeuten würde, wenn das Prisma stirbt? Er ist nicht immer ein einfacher Mann, aber er ist ein viel besserer Mann, als Prismen es im Allgemeinen sind. Und es gibt viele von uns, die alles für ihn tun würden. Alles. Vergesst das nicht … meine Dame.«
Bei Orholams Stoppelbart, die Sklavin hatte einen starken Drang, ihren Herrn zu beschützen.
Die Frau blieb an der Tür stehen, klopfte dreimal an und öffnete sie. Liv trat in den Raum des Prismas. Er saß hinter einem Schreibtisch und schaute sie an. Seine Augen waren zauberhaft. Im Moment sahen sie aus wie Diamanten und verstreuten Licht überallhin. Er deutete auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs, und Liv nahm Platz.
»Danke, Marissia, du darfst gehen«, sagte Gavin zu der Sklavin. Dann richtete er den Blick seiner Diamantaugen wieder auf Liv und erklärte: »Es wird Zeit für diese Gefälligkeit.«
42
»Eine Späherin!«, rief Corvan. Er fluchte. »Sie hat uns gesehen. Verdammte Scheiße!«
Nach Rekton hatten Corvan und Karris beschlossen, gemeinsam zu reisen. Beide wollten König Garaduls Armee folgen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Karris, um sich ihr irgendwie anzuschließen, und Corvan, um festzustellen, ob er eine Möglichkeit finden konnte, Rache zu üben. Es war ein Risiko, ausgerechnet Corvan Danavis zu trauen, aber er hatte Karris gerettet, und sein Ruf aus Kriegszeiten war hervorragend. Und es wäre viel gefährlicher für Karris, allein zu reisen.
Sie waren König Garaduls Armee tagelang nach Süden gefolgt, und kein einziges Mal hatte dieser Späher ausgesandt. Er hatte sehr unvorsichtig gewirkt, doch jetzt waren Karris und Corvan direkt an einer Späherin in einer Baumgruppe vorbeigegangen.
Während sie eine halbe Wegstrecke hinter der Nachhut am Rand eines Waldes standen, lief die Späherin nach Osten, einen niedrigen Hügel hinunter, statt sich direkt auf den Weg zur Nachhut zu machen.
»Sie wird in der Senke dort unten ein Pferd stehen haben. Ihr könnt ihr vielleicht den Weg abschneiden«, sagte Corvan. Er nahm seinen großen Eibenbogen. »Zu weit für einen Schuss. Aber vielleicht habe ich Glück.«
Karris war bereits losgelaufen. Abseits des Umbers hatte Tyrea sich schnell in eine Halbwüste verwandelt. An einigen von Grundwasser genährten Stellen wuchsen Kiefern wie die, unter der sie und Corvan soeben gestanden hatten, aber größtenteils bestand dieses Land aus gewellten, häufig durchbrochenen Hügeln, eine Mischung zwischen Wüste und Ödland. Dieser Umstand hatte die
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