Schwarzes Prisma
eigenen Land als Verrat zu bezeichnen –, Euer ›Verrat‹ wird keinen Krieg heraufbeschwören. Davon haben diese Länder genug gesehen.«
Liv brauchte einen Moment, um das zu verdauen. Es machte tatsächlich Sinn. In gewisser Weise.
»Aber das ist unmöglich. Ich kenne das Prisma nicht. Er hat ein einziges Mal mit mir gesprochen. Ein einziges Mal.«
»Und Ihr habt ihm gefallen.«
»Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde.«
»Habt Ihr irgendeine Ahnung, wie schwierig es ist, jemanden in die Nähe dieses Mannes zu bringen? Wir werden Euch all das für den bloßen Versuch geben. Außerdem wissen wir, dass er eine Schwäche für Tyreaner hat.« Ein winziges, schnelles Hochziehen ihrer Augenbrauen zeigte, dass sie ehrlich überrascht war, dass das Prisma einen derart schlechten Geschmack haben konnte. »Vielleicht könnt Ihr seinen Sohn benutzen, um näher an ihn heranzukommen. Uns ist es gleich.«
Es war schlimm genug, aufgefordert zu werden, das Prisma zu verraten, aber Kip zu benutzen, um an ihn heranzukommen? Nein. Kip war ein guter Junge. Liv würde es nicht tun. Es gab nur einen einzigen Ausweg aus diesem Schlamassel, und sie hatte es die ganze Zeit über gewusst.
Liv zog drei Münzstöcke aus der Tasche. »Das ist genau die Summe, die die ruthgarische Regierung während der letzten drei Jahre für meinen Unterhalt ausgegeben hat. Mit Zinsen. Hier, nehmt das Geld. Ich bin fertig mit Euch. Ich bin frei. Ich schulde Euch gar nichts.«
Aglaia Crassos sah die Münzen nicht einmal an. Sie fragte nicht, wie Liv an so viel Geld gekommen war. Tatsächlich hatte Liv bei einem aborneanischen Geldverleiher einen Vertrag unterzeichnet, der es ihm gestatten würde, ihr Taschengeld direkt einzuziehen, und zwar mit ruinösen Zinsen. Liv war einmal mehr bettelarm. Sie würde einige der wunderbaren Kleider verkaufen müssen, die man ihr gegeben hatte, nur um sich über Wasser zu halten. »Liv, Liv, Liv. Ich will nicht Eure Feindin sein. Aber jetzt, da Ihr endlich etwas wert seid, würde ich mich eher von einem Hengst bespringen lassen, als dass ich Euch gehen ließe. Ihr habt eine Cousine, die hier war, als Ihr vor drei Jahren zur Chromeria kamt. Sie hat Euch gezeigt, wie die Dinge hier funktionieren, nicht wahr?«
»Erethanna«, sagte Liv.
»Sie ist eine Grüne in Diensten von Graf Nassos im westlichen Ruthgar. Sie hat gerade den Antrag gestellt, irgendeinen Schmied heiraten zu dürfen. Der Graf hat dem einen Riegel vorgeschoben – auf meine Bitte hin.«
»Ihr …« Liv zitterte.
»Ein hübsches Paar anscheinend. So glücklich zusammen. Tragisch, wenn der Graf entscheiden sollte, dass das Land von Erethanna verlangen muss, einen anderen Wandler zu heiraten, um ihre Chancen zu vergrößern, talentierte Kinder zu gebären.«
»Geht zur Hölle!«
»Und Eure eigenen Studien könnten gehemmt werden. Und Gerüchte könnten aus einem Dutzend Ecken ausgestreut werden, über alle möglichen verabscheuenswerten Dinge, die Ihr getan habt. Wir können jeden Brunnen vergiften, wenn Ihr Eure Studien beendet habt und nach Arbeit sucht. Ihr werdet nicht für immer in der Gunst des Prismas stehen. In der Sekunde, in der er seinen Blick in eine andere Richtung wendet …«
»So viel bin ich für Ruthgar überhaupt nicht wert«, sagte Liv. Echte Furcht schnürte ihr die Kehle zu.
»Nein, nicht für Ruthgar. Aber für mich seid Ihr so viel wert. Eure Einstellung hat Euch meiner vollen Aufmerksamkeit würdig gemacht. Und wenn Ihr mich schlecht dastehen lasst, werde ich dafür sorgen, dass Ihr den Tag betrauert, an dem Ihr mir das erste Mal begegnet seid.«
»Das tue ich bereits«, erwiderte Liv mutlos. »Hinaus mit Euch. Geht, bevor ich Euch mit bloßen Händen umbringe.«
Aglaia stand auf, griff nach den Geldstücken und sagte: »Die hier werde ich für meine Mühen nehmen. Nachdem Ihr Euch eines Besseren besonnen habt, wisst Ihr, wo Ihr mich findet.«
»Hinaus!«
Aglaia verließ den Raum.
Liv blieb zitternd zurück. Keine dreißig Sekunden später klopfte es an ihrer Tür. Das war es. Liv würde sie töten. Sie ging zur Tür und riss sie auf.
Es war nicht Aglaia. Eine wunderschöne Frau stand da. Eine Blutwäldlerin mit der bleichen, sommersprossigen Haut, die Liv selbst nach drei Jahren in der Chromeria noch seltsam erschien, und rotem Haar wie eine Flamme. Die Frau trug ein Sklavinnenkleid, aber es war für ihre schlanke Gestalt maßgeschneidert und von einer feineren Baumwolle, als Liv sie jemals irgendeine
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