Schwarzes Prisma

Außenministerin ist bestochen worden. Sie ist klug, sie muss wissen, was sie tut. Aber wie dem auch sei. Du musst nach Garriston gehen. Rette die Stadt, töte Rask Garadul, doch selbst wenn du in diesen Punkten scheitern solltest, hol dir diesen Dolch. Davon hängt alles ab.«
    Was »alles«? Das war das Problem, wenn man so tat, als kenne man Geheimnisse, die man nicht kannte. Geheimnisse, insbesondere große, gefährliche Geheimnisse, neigten dazu, die Menschen dazu zu verführen, nur indirekt von ihnen zu sprechen. Vor allem, wenn die Verschwörer wussten, dass sie regelmäßig von Spionen belauscht wurden.
    Vielleicht hätte ich es riskieren sollen zu behaupten, ich hätte vergessen, was der Dolch ist.
    Es hatte eine Zeit gegeben, da Dazen alle Geheimnisse Gavins gekannt hatte, selbst jene, die eigentlich nur zwischen Gavin und ihrem Vater existierten. Dazen und Gavin waren nicht nur Brüder gewesen. Sie waren die besten Freunde gewesen. Obwohl Dazen zwei Jahre jünger war, hatte Gavin ihn wie einen Gleichberechtigten behandelt. Sevastian war jünger; ihn hatten sie meist zu Hause gelassen. Gavin und Dazen hatten dieselben Freunde gehabt. Zusammen hatten sie Faustkämpfe gegen die Brüder Weißeiche gewonnen und verloren. Gavin vermisste die Einfachheit dieser Kämpfe. Zwei Seiten, jede Menge Fäuste, und sobald eine Seite zu bluten oder zu weinen begann, war der Kampf vorüber.
    Aber am Tag seines dreizehnten Geburtstags hatte Gavin sich verändert. Dazen war zu dieser Zeit noch keine elf Jahre alt gewesen. Andross Guile war in großem Ornat hereingekommen, hoch aufragend und beeindruckend in rotgoldenem Brokat und mit rotgoldenen Ketten um den Hals. Selbst damals, nachdem er ein Jahrzehnt lang Mitglied des Spektrums gewesen war, hatte man von Andross Guile stets als Andross Guile gesprochen, niemals als Andross Rot. Alle hatten immer gewusst, welches von beidem wichtiger war. Andross hatte Gavin mitgenommen.
    Als Gavin am nächsten Morgen zurückgekommen war, waren seine Augen geschwollen gewesen, als hätte er geweint, obwohl er es wütend bestritt, als Dazen danach fragte. Was immer geschehen war, Gavin war nie wieder derselbe gewesen. Er war jetzt ein Mann, hatte er Dazen erklärt, und er hatte sich geweigert, mit ihm zu spielen. Als die Gebrüder Weißeiche versuchten, einen Streit anzuzetteln, füllte Gavin sich mit einem solch tiefen Infrarot, dass er Wellen von Hitze verströmte, und erklärte den Brüdern leise, dass sie das Ergebnis selbst zu verantworten hätten, wenn sie ihn angriffen.
    In diesem Moment hatte Dazen gewusst, dass Gavin sie wirklich getötet hätte.
    Von da an hatte Gavin mit ihrem Vater als Vertrautem gesprochen. Dazen hatte er am Weg zurückgelassen. Eine Zeit lang hatte er mit Sevastian gespielt. Dann war auch Sevastian fortgeholt worden, und er war allein gewesen. Dazen hatte gehofft, dass er an seinem dreizehnten Geburtstag ihre Gunst zurückgewinnen würde, aber sein Vater hatte das Datum kaum zur Kenntnis genommen. Als die Zeit kam, da ermittelt werden musste, wen Orholam zu seinem nächsten Prisma erwählt hatte, waren Großjasper und Kleinjasper ein Wirbelwind von Spekulationen gewesen, aber Dazen hatte gewusst, dass das Los auf seinen älteren Bruder fallen würde. Wie es geschah, spielte keine Rolle. Andross hatte Gavin sein Leben lang dazu ausgebildet, das Prisma zu werden.
    Und ich wurde dazu ausgebildet, ein Nichts zu sein. Abfall, gerade noch gut genug, Karris Weißeiche oder irgendein anderes Mädchen zu heiraten, um den Ehrgeiz ihres Vaters zu befriedigen. Bis Gavin versucht hat, mir selbst das zu nehmen.
    Dies war der härteste Teil, was die Aufrechterhaltung seiner Tarnung betraf – an all das erinnert zu werden, was Gavin gehabt hatte und Dazen niemals haben würde.
    »Also, geh nach Garriston, rette es, oder brenn es nieder, töte Garadul, und hol dir den Dolch. Das klingt einfach genug.« Wenn Gavin die Dinge richtig machte, würde er damit eines seiner Ziele verwirklichen und die Bühne für die Erreichung des nächsten bereiten.
    Andross sagte: »Ich werde dir Briefe an die Ruthgari geben, um sicherzustellen, dass sie dir gehorchen.«
    »Du wirst mich zum Gouverneur von Garriston machen?« Wann immer Gavin vergaß, wie mächtig sein Vater war – selbst an diesen kleinen Raum gefesselt –, tat Andross etwas, um ihn daran zu erinnern.
    »Nicht offiziell. Wenn du versagst, würde das unseren Namen besudeln. Aber ich sorge dafür, dass der Gouverneur tut, was