Schwarzes Prisma
unter den Nägeln, als habe etwas auf dem Weg hinaus die Haut zerrissen. Ein Geruch nach Harz und Zeder erfüllte die Luft. Kip fühlte sich benommen. Jemand fluchte mit leiser, verzweifelter Stimme. Er drehte sich um. Es war der Soldat, der auf dem Boden neben ihm blutete. Kip hatte keine Ahnung, wieso der Mann noch lebte. Vier Speere steckten in seinem Körper, aber sie verschwanden jetzt, bogen sich unter ihrem eigenen Gewicht durch und schimmerten, so als siedeten sie innerlich und verdampften. Der Soldat sog die Luft ein. Durch die Bewegung verlagerten sich zwei Speere, die seine Brust durchbohrt hatten. Der Soldat wimmerte und fluchte, und langsam lösten sich die Speere auf und hinterließen nur grünen Sand, der sich mit seinem Blut vermischte. Obwohl der Panzer dem Mann schief überm Gesicht hing, konnte Kip das Glänzen seiner dunklen Augen sehen, in denen Tränen schimmerten.
Für einen Moment fühlte Kip sich verbunden. Das Grün war Einheit, Wachstum, Wildheit, Ganzheit. Aber während es von seinen Fingern glitt und die großen Speere sich wie verwelkende Blumen verbogen, fühlte er sich wieder allein gelassen. Verängstigt. Der kleinere Reiter, der hoch über dem Boden festgehalten worden war, kam frei und schlug mit einem dumpfen Aufprall und dem Klirren von Kettenpanzer auf dem Boden auf. Die Speere schimmerten, lösten sich endgültig auf und wurden wie schwerer Staub davongeblasen.
Kip hörte Weinen. Es war der größere Reiter, der immer noch fluchte. Der Mann sog einen tiefen Atemzug in seine Lunge und hustete plötzlich, spuckte Blut durch den Panzer vor seinem Gesicht. Er drehte sich auf den Bauch, und weiteres Blut quoll aus seinem zerbrochenem Toep.
Kip wandte sich ab. Er blickte zur Brücke hinüber. Die Soldaten des Königs waren fort. Kip konnte nur vermuten, dass sie davon ausgegangen waren, ein ausgebildeter Wandler sei aufgetaucht, um ihn zu retten. Vielleicht würden sie bis zum Einbruch der Dunkelheit warten, um ihm zu folgen, oder vielleicht holten sie einen eigenen Wandler aus ihrem Lager. So oder so, Kip musste weglaufen, so schnell er konnte.
Er drehte sich auf wackeligen Beinen um; seine Finger brannten, und sein Gehirn war träge von Trauer und Erschöpfung, während er zu dem Orangenhain hinüberstolperte.
9
Gavin Guile fiel an Klassenzimmern und Wohnräumen vorbei und wusste, dass nicht wenige Menschen an die Fenster eilen würden, um zu sehen, was als Nächstes geschah. Tatsächlich begann heute für die Anfängerklassen der Unterricht im Wandeln, und seine Landung würde die perfekte Demonstration einer der grundlegenden Lektionen sein, die jeder Magister seinen Schülern erteilte.
Der Magister würde eine Kerze entzünden und die Schüler auffordern, zu kommentieren, was geschah. Dies gab den Magistern immer reichlich Gelegenheit, sich über die verwirrten Kinder lustig zu machen, die unausweichlich Antworten gaben wie: »Die Kerze brennt.« – »Aber was meinst du mit diesem Wort ›brennt‹?« – »Ähm, sie brennt?« Er wollte darauf hinaus, dass jedes Feuer mit etwas Greifbarem begann und beinahe nichts Greifbares zurückließ. Wenn eine Kerze brannte, wo blieb dann der ganze Talg? Er wurde in Macht verwandelt – Macht, die wir als Licht und Hitze erleben. Ob viel oder wenig übrig blieb, hing davon ab, wie effektiv die Kerze verbrannte.
Magie war die Umkehrung davon. Sie begann mit Macht – Licht oder Hitze – und wandelte sie in etwas Körperliches. In Luxin. Luxin konnte man berühren, in der Hand halten – oder von ihm gehalten werden.
Auf halbem Weg nach unten wandelte Gavin aus dem kalten Blau des Himmels und – um der Elastizität willen – etwas Grün eine Art blauen Fallschirm mit Geschirr. Er entfaltete sich mit einem Ploppen und verlangsamte seinen Sturz. Als er nur noch wenige Schritte vom Boden entfernt war, stieß er in mehreren Schüben Infrarot nach unten und bremste seinen Fall dadurch so stark, dass er leichtfüßig auf der Straße landen konnte. Der Fallschirm löste sich in blauen Staub und grünen Sand auf und hinterließ einen Geruch nach Harz, Kreide und Zeder. Ohne innezuhalten, schlug er den Weg zum Hafen ein.
Er fand sie binnen Minuten; sie kam gerade erst selbst am Hafen an und trug eine Tasche über der Schulter. Sie hatte nicht mehr ihre Schwarzgardisten-Uniform an, aber immer noch eine Hose. Karris zeigte sich nur einmal im Jahr in einem Kleid, beim Ball der Luxlords, wo es verlangt wurde. Außerdem hatte sie sich
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