Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Prisma

Schwarzes Prisma

Titel: Schwarzes Prisma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
Vom Netzwerk:
er keines hat.«
    Kip hörte zu und versuchte, die in ihm aufsteigende Panik zu ignorieren, davon überzeugt, dass Gavin, wenn er aufhörte zu reden, das Luxin von seinem Gesicht nehmen würde. Aber Gavin hörte auf zu reden, und er nahm die Maske nicht ab. Kips Magen krampfte sich zusammen, während sein Zwerchfell arbeitete, um mehr Luft einzusaugen. Nichts.
    Er griff sich an den Hals und versuchte, die Naht zu finden, wo Luxin an Haut grenzte. Aber die Linie war glatt, und das Luxin klebte dicht an der Haut. Er bekam die Fingernägel nicht darunter. Er tastete seinen Kopf ab, seine Augen. Wenn er mit den Fingernägeln in die weiche Haut neben seinen Augen stach, könnte er den Rand der Maske abheben und einen Finger darunter schieben. Vor seinen Augen wurde es dunkel. Er sah Gavin an, flehentlich, gewiss, dass der Mann jetzt eingreifen würde.
    Gavin beobachtete ihn mitleidlos. »Wenn das Einzige, was du respektierst, Stärke ist, Kip, bist du erstens ein Narr, und zweitens bist du an den Richtigen geraten.«
    Die Panik kam. Er hätte es besser wissen sollen. Kip schlug um sich, versuchte zu schreien, griff zu diesem dünnen Höcker Luxin an seinen Augen – aber er berührte es kaum, bevor seine Hände herabsanken. Er hätte wissen sollen, dass er ihm nicht trauen konnte …

24
    Nachdem sie den ganzen Tag lang und bis in die Nacht unterwegs gewesen war, bemerkte Karris Rekton in der Ferne zuerst als ein großes, einförmiges Leuchten, während sie durch den Wald pirschte. Es war jetzt lange nach Einbruch der Nacht, und die Luft im Unterholz war kühl. Sie war Infrarot-Wandlerin genug, um Nachtsicht zu haben, aber sie war nicht perfekt, und in einer mondhellen Nacht wie dieser wechselte sie oft zwischen normalem und Infrarotsehen. Licht unterhalb des sichtbaren Spektrums war gröber; es taugte nicht für eine feine Differenzierung. Selbst Gesichter sahen einfach aus wie warme Kleckse, hier und da heller, aber es war viel schwieriger, Mienenspiel oder feine Bewegungen auszumachen – oder auch nur aus der Entfernung ein Gesicht zu identifizieren.
    Das Leuchten bedeutete, dass Rekton immer noch brannte. Karris umkreiste die Stadt langsam und stieg den letzten Hügel hinauf. Sie hielt sich fern von der Straße und bewunderte im silbernen Mondlicht den Wasserfall direkt unterhalb der Stadt. Sie hatte den ganzen Tag über niemanden auf der Straße gesehen, was sie seltsam fand. Wenn niemand flussabwärts aus Rekton floh, bedeutete das wahrscheinlich, dass niemand herausgekommen war. Aber es war auch merkwürdig, dem Fluss durch Ackerland zu folgen und nicht auf andere Siedlungen zu treffen. Sie hatte Orangengärten gesehen, die seit dem Krieg offensichtlich nicht gepflegt worden waren, aber sie trugen immer noch Früchte. Die Früchte waren spärlich, und die Bäume wuchsen willkürlich, verglichen mit den Gemälden, die Karris von Orangenernten gesehen hatte, aber sie waren trotzdem da. Bei dem Preis, den tyreanische Orangen einbrachten, fiel es ihr schwer, das zu glauben. Tyreanische Orangen waren kleiner, aber süßer und saftiger als atashische Orangen, und die parianischen Orangen konnten einem Vergleich überhaupt nicht standhalten. Niemand war nach dem Krieg hierher zurückgekehrt? Waren in der Schlacht von den Getrennten Felsen wirklich so viele umgekommen, dass das Land selbst jetzt, sechzehn Jahre später, brachlag und allein für Rotwild und Bären Früchte trug?
    Karris sah keine Leichen, bis sie sich in die noch immer brennende Stadt stahl, eingehüllt in ihren schwarzen Kapuzenumhang. Sie folgte der Hauptstraße, deren Pflastersteine eben und gut gepflegt waren: für Karris ein Symbol für eine Stadt, die gut regiert wurde. Ein verbrannter Leichnam lag mitten auf der Straße, mit dem Gesicht nach unten, einen Arm ausgestreckt, einen Finger auf das Zentrum der Stadt gerichtet. Nur die Hand und der zeigende Finger waren nicht verbrannt. Der Kopf fehlte.
    Sie hatte seit dem Krieg nicht mehr diese Art von Brand gesehen. Während des Krieges waren die Armeen etliche Male in Gebieten aufeinandergeprallt, in denen die Leichen nicht begraben werden konnten und wo es nicht genug natürliches Brennholz für Beerdigungsscheiterhaufen gab. Leichen mussten entsorgt werden, um zu vermeiden, dass man noch mehr Soldaten an Krankheiten verlor, also besprühten Rotwandler einen Leichnam mit einem Strom roten Gelees. Eine schnelle Bedeckung, selbst wenn sie nachlässig gewandelt wurde, konnte prompt entzündet werden.

Weitere Kostenlose Bücher