Schwarzes Prisma
dir. Du bist der Ketzer, nicht …« Und dann schloss sich endlich die Dunkelheit des Todes über dem Giisten.
32
Kip hatte kaum Zeit, sich mit Handtüchern abzurubbeln, sich irgendeine Soldatenhose, ein trockenes Hemd und schwere Stiefel anzuziehen – überraschenderweise passte alles; anscheinend waren sie hier draußen an kräftige Soldaten gewöhnt – und sich vor ein Feuer zu werfen, bevor Eisenfaust auftauchte. Sein dicht gelocktes Haar war feucht, aber davon abgesehen verriet nichts, dass auch er gerade im Meer gebadet hatte. Er trug eine vorschriftsmäßige graue Uniform wie Kip, wenn auch mit einem goldenen, siebenzackigen Stern und zwei Streifen auf dem Revers, wo Kips Uniform nichts dergleichen hatte.
»Hoch mit dir«, sagte Eisenfaust.
Kip stand auf und rieb sich in dem, wie es schien, vergeblichen Versuch, sich zu wärmen, die Arme. »Ich dachte, Ihr wärt ein Hauptmann der Schwarzen Garde. Warum tragt Ihr eine Obristenuniform?«
Eisenfausts Augenbrauen zuckten kaum. »Du kennst also die chromerianischen Ränge?«
»Meister Danavis hat mich sämtliche militärischen Ränge aller Sieben Satrapien gelehrt. Er dachte …«
»Das ist schön. Du hast all deine Sachen?«, fragte Eisenfaust.
Kip zog die Brauen zusammen, weil er unterbrochen und seine Worte für belanglos erklärt worden waren, und dachte an seine Sachen. »Ich habe nichts. Ich hatte von Anfang an nicht viel, und …«
»Also lautet die Antwort ja«, sagte Eisenfaust.
So würde das also laufen. »Ja«, erwiderte Kip. »Herr.« Das »Herr« klang ein wenig ironisch, und Eisenfaust sah ihn scharf an, ohne den geringsten Humor in der einen hochgezogenen Augenbraue. Er war wirklich sehr groß. Nicht nur hochgewachsen, nicht nur wirklich hochgewachsen. Muskelbepackt. Einschüchternd. Kip wandte den Blick ab und räusperte sich unbeholfen. »Es tut mir leid, dass Ihr hineinspringen und mich holen musstet. Es tut mir leid, dass Ihr meinetwegen Eure Brille verloren habt. Ich werde es Euch zurückzahlen, das verspreche ich.« Plötzlich spürte Kip zu seinem maßlosen Entsetzen, dass aus dem Nichts Tränen aufstiegen. Orholam, nein! Doch der Sog war so unwiderstehlich wie der Gezeitenstrom. Sein Magen verkrampfte sich, als er versuchte, das Schluchzen herunterzuschlucken, aber es entrang sich ihm trotzdem. Er hatte es so satt, schwach zu sein. Er war das Kind, das sich nicht einmal an dem Seil festhalten konnte, das ihm jemand in die Hände legte. Er war nicht in der Lage gewesen, irgendetwas zu tun. Er hatte Isa nicht gerettet, als sie ihn brauchte. Er hatte seine Mutter nicht gerettet. Er hatte Sanson nicht gerettet. Er war machtlos, dumm. Wenn es darauf ankam, war er in Panik geraten. Seine Mutter hatte recht, was ihn betraf.
Ein halbes Dutzend Gefühle schossen in schneller Folge über Eisenfausts Gesicht. Er hob unbeholfen die Hand, ließ sie sinken, hob sie erneut und tätschelte Kip die Schulter. Dann räusperte er sich. »Ich kann eine neue Brille beantragen.«
Kip begann gleichzeitig zu lachen und zu weinen, nicht weil Eisenfaust komisch war, sondern weil der massige Mann dachte, er weine wegen seiner Brille.
»Nichts für ungut«, sagte Eisenfaust. Er schlug Kip mit der Seite seiner Faust auf die Schulter, und Kip vermutete, dass es eine freundliche Geste sein sollte – nur dass es wehtat. Kip rieb sich die Schulter und lachte und weinte noch heftiger.
»Lasst uns gehen«, sagte Kip und wich zurück, für den Fall, dass Eisenfaust noch einmal mit einem seiner Namensvettern auf seine Schulter klatschte und eine rauchende Ruine hinterließ.
Eisenfausts Augenbrauen zuckten zu einem flüchtigen Ausdruck der Erleichterung in die Höhe.
»Beinahe so schlimm, als hättet Ihr’s mit einer Frau zu tun, hm?«, meinte Kip.
Eisenfaust hielt jäh inne. »Woher …« Seine Stimme verlor sich. »Du bist ein Guile, nicht wahr?«
»Wie meint Ihr das?«, fragte Kip.
»Lass uns gehen«, sagte Eisenfaust in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Kip zögerte nicht. Er wusste nicht, was genau Eisenfaust mit ihm machen würde, wenn er nicht gehorchte, aber Wissen war ein logischer Prozess. Angst funktionierte schneller.
Draußen sah er, dass sie ein weiteres Boot auf der Rampe vertäut hatten. Er rieb sich die verschwitzten Arme und starrte aufs Meer. Die Flut hatte mit Macht eingesetzt, und die Wellen krachten über die Felsen der Kanoneninsel. Dieses Boot war ein kleines Dingi mit Segeln. Es wirkte nicht einmal so stabil
Weitere Kostenlose Bücher