Schwarzes Verlangen
„Also, die Sachen sind ziemlich alt. Und hässlich. Abgesehen von dem Bild. Das ist neu und hässlich.“ Mit der Fingerspitze fuhr sie über die Leinwand, und ihr selbstverliebter Gesichtsausdruck verblasste. „Du musst sehr vorsichtig sein.“ Plötzlich klang sie ganz ernst. Fast düster. „Wenn du nicht jedes Artefakt auf die richtige Art und Weise gebrauchst, wirst du als Gefangene enden. Für immer.“ Dann strich sie mit der Hand über den Umhang, verzog das Gesicht und kehrte zu ihrem alten, nervigen Ich zurück. „Ist ja nicht besonders weich, was? Ich mag weiche Sachen lieber. Meine Haut ist sehr zart. Und perfekt.“
„Wie verwende ich jedes Artefakt richtig?“, hakte Cameo nach.
„Wovon redest du? Woher soll ich das wissen? Ich hab die Dinger nie benutzt. Und davon mal abgesehen, auch wenn ich alles weiß, wär’s schön, auch mal für was anderes als mein brillantes Hirn geschätzt zu werden.“ Während sie sprach, beugte sie sich vor, um in den Kristall am Ende der Rute zu blicken. „Oh, hübsch“, hauchte sie und schien völlig hypnotisiert von ihrem Spiegelbild.
Sie streckte die Hand aus. Berührte den Kristall.
Gerade noch hatte sie neben Cameo gestanden, jetzt war sie plötzlich verschwunden.
Stille erfüllte den Raum.
„Viola“, rief Cameo und drehte sich im Kreis, doch von dem Mädchen fehlte jede Spur.
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie sich an die Kamera hinten rechts wandte. „Hast du das gesehen? Ist gerade wirklich passiert, wovon ich glaube, dass es passiert ist?“
Es ertönte ein statisches Knistern, bevor Torins Stimme aus den strategisch angebrachten Lautsprechern kam. „Oh ja. Sobald sie die Rute berührt hat, war sie weg.“
„Und was soll ich jetzt machen?“, wollte sie wissen.
„Nichts. Ich werde recherchieren und sehen, was ich dazu finde.“
Nein. Mit Nichtstun würde sie sich nicht zufriedengeben. Davon abgesehen recherchierte er schon, seit sie das Ding ergattert hatten, und hatte noch keinen Fitzel an Information gefunden.
Kurzentschlossen entfaltete Cameo den Umhang.
„Hey! Was machst du da?“, fragte Torin scharf. „Hör sofort damit auf.“
„Zwing mich doch.“ Er war der Hüter der Krankheit . Eine Berührung seiner Haut mit der eines anderen, und eine Seuche würde sich ausbreiten. Der arme Mann verbrachte den größten Teil seiner Zeit allein in seinem Zimmer, während er die Welt aus der Distanz beobachtete.
In einem Augenblick der Schwäche hatten sie eine berührungslose Beziehung begonnen, doch genau wie mit Kane war der Funke schnell wieder erloschen, und sie hatten erkannt, dass sie als Freunde besser dran waren.
„Cameo. Tu’s nicht.“
Er machte sich Sorgen um sie. Das wusste sie. Genauso wusste sie, dass er gern nachdachte, bevor er handelte. Erst plante. Prüfte. Die meisten der Krieger hier in der Festung waren so. Doch nicht Cameo. Je länger sie wartete, bevor sie etwasunternahm, desto nutzloser wurde sie, während das Elend des Dämons sie erfüllte, sie verzehrte.
Darüber hinaus könnte Viola Schmerzen leiden. Besonders gern hatte Cameo das Mädchen nicht, aber genauso wenig würde sie sie leiden lassen – unabhängig davon, was sie mit ihr vorhatte. Sie musste versuchen, sie da rauszuholen.
Cameo streckte die zittrige Hand aus.
„Wag es ja nicht, dasselbe zu tun wie sie“, schrie Torin über die Lautsprecher.
Kurz hielt sie inne. Vielleicht gab es doch einen anderen Weg. Vielleicht …
„Maddox!“, dröhnte Torins Stimme. „Du musst in das Zimmer mit den Artefakten. Sofort! Reyes, du auch. Alle. Cameo begeht gerade einen riesigen und möglicherweise tödlichen Fehler.“
Es gab keine Zeit mehr zum Nachdenken.
Bebend stellte Cameo das Gemälde in den Käfig, packte den Umhang und trat selbst hinein. Sie zog die Tür von innen zu, und das Schloss schnappte automatisch ein. Sobald sie das leise Klicken hörte, hatte sie das Gefühl, als hätten sich schwere eiserne Ringe um ihren Hals und ihre Hand- und Fußgelenke geschlossen. Doch als sie hinunterblickte, sah sie nur ihre sanft gebräunte Haut.
„Ich befehle dir aufzuhören, Cameo“, sagte Torin.
Offensichtlich sah der Zwangskäfig ihn jedoch nicht als den Eigentümer an, denn sie verspürte keinerlei Drang, ihm zu gehorchen.
Sie legte sich den Umhang um die Schultern und streckte den Arm durch die Gitterstäbe, um nach der Rute zu greifen. Kurz bevor sie sie berührte, blieb ihr Blick an dem Gemälde hängen. Sie erstarrte. Augenblicklich
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