Schwarzlicht (German Edition)
geweckt: Fernsehbilder von Attentaten und Festnahmen in den Siebzigern. Ein zerschossener Mercedes, ein Arbeitgeberpräsident mit einem Pappschild vor der Brust – Bilder, die seine Jugend begleitet hatten.
Ela verabschiedete sich von ihm. Sie umarmten sich.
«Du fehlst mir jetzt schon», sagte Vincent.
«Grüß mir Nina.»
«Danke.»
«Arbeitet sie noch in der Kinderambulanz? Geht’s ihr gut?»
Vincent bejahte. Nina geht’s gut. Hat einen neuen Lover. Geht ihre eigenen Wege. Oder war alles nicht wahr, und er brauchte Nina nur anzurufen, damit sie zurückkehrte?
Nicht jetzt, beschloss er. Nina hatte erst später Feierabend, er wollte sie nicht in der Klinik stören.
Ela winkte mit dem Blumenstrauß in die Runde, dann war sie verschwunden.
7
Mit dem Motor sprang auch das Radio an. Vincent ließ das Auto vom Parkplatz rollen und zappte durch die Kanäle. Er blieb bei einer Magazinsendung hängen. Landespolitik, Castorp und die Abhöraffäre, was sonst.
Offenbar war der Politiker wieder aufgetaucht, denn es wurde für morgen eine Pressekonferenz angekündigt, auf der er sich noch einmal erklären wolle. Man rechnete mit seinem Rücktritt als Chef der Landesregierung und Spitzenkandidat seiner Partei, denn die Fakten, die bekannt geworden waren, schienen erdrückend zu sein. Oder würde der Ministerpräsident noch einmal versuchen, sich herauszureden?
Ausgerechnet knapp zwei Wochen vor der Wahl war der Skandal öffentlich geworden. Vincent schätzte, dass es bei den Kollegen vom Einbruch eine undichte Stelle gab. Oder bei der Staatsanwaltschaft. Vermutlich bezahlten die Medien gut. An Zufälle glaubte Vincent nicht.
Am Ende des Jürgensplatzes nahm er die Durchfahrt, die der Polizei vorbehalten war, fädelte sich in den dichten Verkehr ein und tauchte kurz darauf in den Rheinufertunnel. Der Radioempfang brach ab, nur noch Gekrächze, Vincent schaltete aus. Der Feierabendverkehr quälte sich langsam voran.
Am Ende der Tunnelrampe begann die Straße mit dem Plakat an jedem Laternenmast.
Brigitte Veih, Schwarzlicht .
Nur noch heute.
Rechter Hand ragte der wuchtige Backsteinkomplex auf, der einst für die größte Messe der Weimarer Zeit errichtet worden war und im Baustil ganz der Festung ähnelte. Jetzt wurde hier Kunst gezeigt.
Vincent setzte den Blinker und suchte eine Parklücke.
Im Innenhof standen zwei Lieferwagen einer Cateringfirma, Leute schleppten Edelstahlbehälter die Treppe hoch. Sie trugen hellblaue Sweatshirts, auf der Brust das gleiche Logo wie an den Transportern. Vincent trat mit ihnen durch den Eingang.
Betriebsamkeit im Foyer, offenbar wurde hier ein Buffet aufgebaut. Stühlerücken und Geklapper im Café dahinter. Vincent wich einem Mann aus, der eine Palme im Kübel vorbeischob. Kein Mensch hinter dem Ticketschalter. Vincent schnappte sich ein Faltblatt und ging nach links in den Ausstellungsraum.
An grauen Wänden hingen großformatige Porträtfotos in Schwarz-Weiß, gleißend hell beleuchtet. Ausschließlich Frauen. Und allesamt, wie er aus dem Flyer erfuhr, zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt. Die Künstlerin gibt Haftinsassinnen ihre Würde zurück und konfrontiert die Gesellschaft mit den Weg- und Ausgeschlossenen . Von den Taten, wegen deren die Frauen im Knast gelandet waren, verriet der Text nichts.
Augenpaare starrten ihn an. Direkte, provozierende Blicke. Diese Frauen wirkten, als gäbe es nichts, was sie noch beeindrucken könnte, als hätten sie alles erlebt. Keine von ihnen zeigte ein Lachen – hatte seine Mutter es verboten? Was bezweckte sie mit diesen Fotos?
Vincent fand das Gesicht, das auch auf den Plakaten war. Mittleres Alter, struppige Frisur. Jedes Fältchen, jedes einzelne graue Haar war zu erkennen. Wie die anderen Frauen posierte sie vor einer nackten Wand. Vincent trat an das Schildchen neben der Aufnahme, nur ein Spitzname stand darauf: Lucky .
Eine Frau erschien im Durchgang und rief herüber: «Soll ich Ihnen zeigen, wo Sie sich nachher postieren können? Brauchen Sie eine Akustikprobe?»
Vincent wandte sich um. Keiner da außer ihm.
«Meinen Sie mich?», fragte er zurück.
Die Frau kam mit energischen Schritten auf ihn zu. Schwarzer Anzug, schwarze Bluse, strenger Blick. «Sie sind doch der Cellist?»
«Schaue ich so aus?»
Sie lächelte und wirkte hübsch dabei. «Irgendwie schon.»
«Das hat noch niemand zu mir gesagt.»
«Also sind Sie nicht der Cellist?»
«Ich bin …», Vincent zögerte kurz, «Polizist.»
«Stimmt etwas
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