- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
Falls er je fremde Daten missbraucht hatte, war darüber nie etwas bekannt geworden. Stephans hatte auch mit Benjamin Weiland und Agnes Vogel gesprochen, und beide hatten unabhängig voneinander bestätigt, dass sie gemeinsam mit Meph regelmäßig an einem Onlinespiel namens Thought Police teilnahmen. Auch sie hatten die Person, die sich David nannte, nie gesehen und jede Kenntnis seiner möglichen Schattenaktivitäten glaubwürdig verneint. »Man kann Martin Effenberger erschreckende Naivität vorwerfen«, schloss der Kommissar, »aber das macht ihn nicht zu einem Gefährder. Ich halte ihn für unschuldig und sah keinen Grund, ihn weiter festzuhalten.«
»Unschuldig. Schuldig«, sagte Westphal bedächtig. »Sind das die Kategorien, in denen Sie denken?«
Stephans zögerte. »Lassen Sie es mich so formulieren: Ich erkenne keinen Sinn darin, jemanden zu bestrafen, der nichts Ungesetzliches getan hat.«
»Es ist nicht unsere Aufgabe, zwischen Schuld und Unschuld zu trennen. Dafür gibt es Richter und Historiker. Wir leben in Zeiten des Terrors. Wir interessieren uns nicht dafür, was jemand getan hat, sondern für das, was er tun wird.« Der Minister fuhr sich mit einer seiner Porzellanhände über das Gesicht. »Leider können wir nicht in die Zukunft sehen. Wir können nur raten, und dafür brauchen wir Informationen, je mehr, desto besser. Ihre Aufgabe ist es, mir alle verfügbaren Informationen zu beschaffen. Würden Sie sagen, dass Sie diese Aufgabe gestern erfüllt haben?«
»Ja. Herr Effenberger mir alles gesagt hat, was er weiß.«
»Was macht Sie so sicher?«
Stephans zuckte die Achseln. »Ich war elf Jahre lang bei der Kripo. Ich habe genügend Verhöre durchgeführt, um Verdächtige richtig einschätzen zu können. Effenberger hatte die Hosen gestrichen voll. Ich war mir noch nie so sicher, dass jemand nichts ausgefressen hat.«
»Ist das der Grund, weshalb Sie ihn erst freiließen und danach überprüften, ob er die Wahrheit gesagt hat?«, wollte Littek wissen.
»Ich nahm mir ausreichend Zeit, um die Eckdaten seiner Geschichte zu überprüfen«, korrigierte ihn Stephans. »Als alles stimmte, ließ ich ihn gehen.«
»Ich präzisiere: Sie ließen jemanden gehen, von dem Sie wussten, dass er regelmäßig über eine verschlüsselte Verbindung kommuniziert.«
»Das tut er nicht.«
Littek legte den Kopf schief. »In Ihrem Bericht heißt es, wir können die Kommunikation nicht abhören. Jetzt behaupten Sie, sie ist nicht verschlüsselt?«
»Beides ist korrekt. Ich habe mir Compadre angeschaut, das Programm, um das es geht. Es arbeitet ohne jede Verschlüsselung.«
»Sie haben es sich angeschaut, und jetzt wissen Sie, wie es funktioniert?«, kommentierte Littek ironisch.
»Kommissar Stephans hat ein Diplom in Informatik, Littek«, antwortete Westphal an dessen Stelle. »Fachrichtung Kryptografie und Netzsicherheit. Er besaß sogar eine eigene Internetfirma, wenn ich richtig informiert bin.«
Gekonnt überspielte Littek seine Überraschung. »Ich wüsste zu gern, was Ihre Geschäftsidee war, Stephans.«
»Onlinefestplatten«, erwiderte dieser gelassen. »Pods. Und lassen Sie mich die nächste Antwort gleich vorwegnehmen: Nein, ich habe Everydayta nicht durch Unvermögen an die Wand gefahren. Das Schwarzspeichergesetz kam mir in die Quere. Wenn es nicht die Monopolisierung des Marktes zur Folge gehabt hätte, wäre ich jetzt Aktienmillionär.« Aus dem Augenwinkel sah Stephans, wie Westphal sich eine Notiz machte, und er biss sich auf die Zunge.
Der Minister griff das Thema wieder auf. »Wenn die Verbindung nicht verschlüsselt ist, warum können wir sie nicht abhören?«
»Wir können es. Wir tun es nur nicht. Compadre nutzt die Architektur der Kommunikationsprotokolle, auf denen das Internet basiert, auf überraschend simple Weise aus. Wie Sie vielleicht wissen, werden Dateien im Netz nicht als Ganzes vermittelt, sondern in Form vieler kleiner Pakete. Der Aufbau eines solchen Pakets umfasst den Body, also die Nutzdaten, und einen Header. Dieser wird üblicherweise durch einen RFC definiert …«
Littek stöhnte auf. »Auf Deutsch, bitte.«
»Verzeihung. Gut, dann stellen Sie sich ein Datenpaket einfach wie ein gewöhnliches Postpaket vor. Der Header stellt den Adressaufkleber dar, und im Inneren des Pakets befinden sich die Daten: eine Sekunde Telefonie, ein Einzelbild aus einem 3D-Clip, ein paar Takte Musik. Nun kommt der Clou: Compadre hält sich nicht an die Vereinbarung, die Daten im Paket
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