- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
waren nach dem Standardschema sortiert, und ihr Inhalt entsprach ziemlich genau dem, was man von einem netzaffinen Mittzwanziger erwartete. Seine Mediensammlung bestand aus Hollywood-Blockbustern, Webclips und Machinimas. An Büchern fanden sich ein paar kostenlose Klassiker, auf die durchweg kein einziges Mal zugegriffen worden war. Mephs Musikgeschmack war bestenfalls langweilig, und auch der Einschlag in japanischen Schulmädchenpop konnte ihm keinen eigenen Stempel aufdrücken. Seine Pornos enthielten keine besonders abstoßenden Inhalte, und Mephs Raubkopienquote lag unter dem Bevölkerungsdurchschnitt.
Ähnlich unauffällig gestaltete sich sein Onlineverhalten. Von den sechs Indikatoren für Onlinesucht erfüllte er zwei; gefährdet galt man ab drei. Die meiste Netzzeit widmete er MyLife, wo er zum Zeitpunkt seiner Extraktion über 10.000 Friends gehabt hatte. Zurzeit waren es 53. Die Liste seiner Suchbegriffe enthielt nichts, was einen Verdacht auf Schattenaktivitäten oder terroristische Verbindungen erhärten konnte. Meph zahlte grundsätzlich drahtlos und finanzierte seinen Lebensstil mit den Einkünften aus seinen direkt herunterladbaren Standardpoddesigns. Hinzu kamen unregelmäßige Zahlungseingänge in der Höhe von 500 bis 10.000 Euro, vermutlich die Honorare für seine maßgeschneiderten Designs. Allerdings wickelte Meph diese Transaktionen über einen anonymen Onlinebezahldienst mit Sitz in Island ab, den das IKM aufgrund von internationalen Abkommen nicht zur Herausgabe von Daten zwingen konnte. Auch sonst fand Stephans keine Anhaltspunkte dafür, wer Meph Zugriff auf private Pods gewährt hatte. Anscheinend besaß er ein gutes Bewusstsein dafür, was ihn in Schwierigkeiten bringen konnte und was nicht.
Je länger Stephans in Mephs Pod herumstöberte, desto stärker rückte sein Unwohlsein in den Hintergrund, die Intimsphäre eines Fremden zu verletzen. Gleichzeitig wuchs seine Faszination darüber, wie wenig die Masse an Informationen, die ihm vorlag, über ihren Besitzer aussagte. Mephs Leben lag in obszöner Offenheit vor Stephans ausgebreitet, doch je länger er hinsah, umso konturloser wurde das Bild. Effenberger war wie Quecksilber. Er war das perfekte digitale Schaf.
Der einzige Aspekt, der Mephs Pod von allen anderen abhob, war, dass er keine privaten Fotos oder Videos besaß. Vielleicht hatte man als Livestreamer keine Verwendung dafür. Die einzige Bilddatei, die er häufiger aufrief, trug den Dateinamen thought_police.png und war offensichtlich die Vorlage für sein Design gewesen.
»Wer zum Geier bist du?«, wiederholte Stephans.
Conny gab ihm von hinten einen Kuss auf den Kopf. »Mit wem redest du da?«
Reflexartig klappte Stephans das Pad zu. »Mit mir selbst. Lass uns ins Bett gehen, ich komme hier ohnehin nicht weiter.«
Sie glitt neben ihm aufs Sofa, und ihr T-Shirt rollte bis über die Schulterblätter hoch. »Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Jetzt bin ich wach.« Sie strich über seine Brust. Er roch ihren Duft und spürte, wie sein Verlangen erwachte. Er küsste sie. Conny ließ die Hand in seinen Schoß wandern, und er schloss die Augen.
Einen Moment später war er wieder hellwach. »Was tust du?«
»Tolles Design«, sagte sie. »Wessen Pod ist das?«
Er nahm ihr das Pad aus der Hand und schloss es erneut. »Das darf ich nicht sagen. Du hättest das gar nicht sehen dürfen.«
»Ach, komm schon. Wann habe ich schon mal die Chance, einen fremden Pod zu sehen?« Sie schmiegte sich enger an ihn und streckte den Arm nach dem Pad aus. »Nur einen kurzen Blick.«
»Du weißt, dass ich das nicht darf.«
Sie beugte sich vor, so weit sie konnte, und hauchte ihm ins Ohr: »Wenn du ein ungezogener Junge bist, bin ich auch ein ungezogenes Mädchen.«
Er riss sich von ihrem Anblick los. »Hör auf, ich bitte dich.« Er drückte den Ausschalter, und das Pad wurde schwarz.
Conny rückte von ihm ab und zog das T-Shirt herunter. »Da bin ich mal ein bisschen neugierig, und du tust so, als wollte ich fremde Konten plündern. Warum muss bei dir immer alles nach Vorschrift gehen?«
»Wir reden hier vom Pod eines anderen Menschen. Fändest du es gut, wenn ich in deinen Daten herumschnüffle?«
Sie streckte ihm den Log-in-Finger entgegen. »Du brauchst mich nur zu fragen. Ich liebe dich, Hanno. Ich habe keine Geheimnisse vor dir.«
»Das weiß ich. Du musst es mir nicht beweisen.«
»Vielleicht …« Sie zögerte.
»Was ist?«
»Vielleicht wünsche ich mir deshalb,
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