- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
ausgetrickst worden zu sein. Und er hasste es, wenn man ihn austrickste.
Wieder spielte er die verrauschte Aufnahme ab, die der Agent von der anderen Straßenseite aus gemacht hatte. Meph verschwand in der Telefonzelle und hielt sich den Hörer ans Ohr. Mehr war nicht zu erkennen. Durch den Regen verschwamm sein Mienenspiel, das Aufschluss über den Gesprächsverlauf hätte geben können, und die Lippenlesealgorithmen hatten Mephs Lippen gar nicht erst identifizieren können. Nach drei Minuten achtundvierzig hängte er den Hörer wieder auf; nicht lange genug, um die Leitung zu isolieren und anzuzapfen. Fürs Erste würde es Mephs Geheimnis bleiben, mit wem er gesprochen hatte und worüber.
Es konnte Zufall sein, aber Kommissar Stephans glaubte nicht an Zufälle. Er musste annehmen, dass Meph ein anonymes Telefonat durchgeführt hatte, während er unter direkter Observation des am besten ausgestatteten Überwachungsapparats diesseits des Atlantiks stand. Das war keine geringe Leistung. Stephans war Teil des Apparats, er konnte das beurteilen.
Aus dieser Erkenntnis ergaben sich mehrere Schlussfolgerungen. Die erste war simpel: Meph musste noch enger überwacht werden. Zu diesem Zweck hatte Littek Stephans zwei weitere Teams zugeteilt und ihm darüber hinaus Zugriff auf einen IKM-Satelliten gegeben, mit dessen Kameras Stephans überprüfen konnte, ob jemand auf dem Kurfürstendamm sich die Haare gewaschen hatte, jedenfalls solange die Zielperson keinen Helm trug.
Die zweite Schlussfolgerung lautete, dass Meph das Ministerium mit erstaunlich großem Erfolg zum Narren hielt. Bis vor wenigen Stunden hätte Stephans es nicht für möglich gehalten, dass heute, zwei Jahre nach Außerbetriebnahme des Festnetzes, immer noch anrufbare Telefonzellen existierten. Erst Compadre , jetzt das. Wie viele Lücken gab es noch? Und woher wusste Meph von ihnen?
Seit dem Moment seiner Entlassung wurde sein Pod ununterbrochen vom IKM gescannt. Die Ministeriums-Rechner hatten den Datenstrom Bit für Bit auseinandergenommen und nach verschlüsselten Dateien und codierten Botschaften gesucht. Nichts. Meph musste die Information über die Telefonzelle schon vor seiner Extraktion besessen haben. Und das führte Stephans zu seiner nächsten Überlegung: Wenn Effenberger sich im Voraus auf den Extraktionsfall vorbereitet hatte, wie konnte er dann das unschuldige Opfer sein, als das er sich ausgab?
Dabei sprach weiterhin vieles für Mephs weiße Weste. Jede Antwort, die er während des Verhörs gegeben hatte, hatte sich als richtig herausgestellt. Seine Erklärung für den subdermalen Schwarzspeicher wies keine Widersprüche auf, und auch sein Verhalten nach der Freilassung passte ins Bild. Stephans hatte mehrere Gespräche mitgehört, in denen Effenberger seine sogenannten Friends um ihr Vertrauen anbettelte, und jede neue Zurückweisung hatte dem Kommissar einen Stich versetzt. Aber nach dem, was auf der Glienicker Brücke geschehen war, war nicht mehr von der Hand zu weisen, dass Meph mehr wusste, als er zugab.
Dieser Gedanke wiederum führte zu einer besonders bitteren Schlussfolgerung: Stephans hatte sich getäuscht. Sollte Littek doch recht behalten?
»Meph, wer bist du?«, brummte er.
Mephs Livestream verriet, dass er nach wie vor unter dem Dach einer Bushaltestelle lag und zu schlafen versuchte. Manchmal zitterte er. Stephans griff auf Mephs Onlinefestplatte zu und überprüfte, ob in der vergangenen Stunde neue Dateien hinzugekommen waren. Das war nicht der Fall.
Verdrossen scrollte Stephans in den Dateien hin und her, obwohl er wusste, dass er darin keine Antwort auf seine Fragen finden würde. Normalerweise war der Pod eines Menschen ein recht genaues Abbild seiner Persönlichkeit. Bei Meph machte er das Rätsel nur größer.
Das Design stellte offenbar die Welt von Thought Police dar. Straßenschluchten waren wie mit dem Messer zwischen Hochhauskomplexe geschnitten und reichten so tief, dass kein natürliches Licht nach unten reichte. Alles war düster und abweisend. In den Straßen türmten sich Müllberge und huschten Ratten umher. Autowracks und Brände waren mit viel Liebe zum Detail designt, ebenso wie die Schattenmenschen – Widerstandskämpfer, erinnerte sich Stephans –, die sich hier unten herumdrückten und in deren verhärmten Gesichtern gleichermaßen Hunger wie Stolz lagen. Das Design war schlichtweg beeindruckend.
Unter der glitzernden Oberfläche herrschte dagegen Langeweile. Mephs Bookmarks und Dateien
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