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- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

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Titel: - Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Radloff
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blieb er stehen und schwenkte das Pad langsam die Säule des Fernsehturms empor bis zur Kugelspitze. Die Bildqualität war so gut, dass er meinte, die Menschen sehen zu können, die hinter den Scheiben des Restaurants saßen, auf alten Bilddateien eingefroren, bis auch die letzte Backup-Festplatte ihren Dienst quittierte.
    Alles in allem enttäuschte ihn der Effekt. Niemand brauchte Augmentierte Realität, wenn sie nur in 2D verfügbar war.
    Weil es immer noch zu früh war, folgte er den virtuellen Reifenspuren, die den Weg des Tanklasters markierten. Der Memorial Guide plauderte über Tankermasse, Aufprallgeschwindigkeit und Kamineffekt. Schematische Darstellungen ergänzten die Originalaufnahmen von der rollenden Bombe, wie sie durch Absperrungen und Mauern brach und am Fundament des Turms explodierte. Die Software vergaß nicht zu erwähnen, dass die unvorstellbare Hitze von der Leiche des Todesfahrers nichts übrig gelassen hatte, sodass seine Identität bis zum heutigen Tag ungeklärt war, aber Meph hörte kaum hin. Die Anspannung schmerzte in seinen Schultern, und er fühlte sich von tausend unsichtbaren Kameras unter Beschuss genommen. Immer wieder suchte er den Platz nach IKM-Agenten ab, ohne jemanden zu entdecken. Nicht einmal die Rekonstruktion des Sturzes konnte seine Unruhe lindern. Vor einer Woche hätten ihn die Bilder von der Katastrophe begeistert, aber heute erschienen sie ihm reißerisch und makaber. 2.000 Menschen hatten hier ihr blutiges Ende gefunden, und der Memorial Guide flog in Zeitlupe die Originalbahnen der Trümmerteile nach.
    Meph bemerkte, dass ihn seine Ungeduld vor den Eingang des Erinnerungszentrums getrieben hatte. Vor dem schroffen Bau fühlte er sich klein und wehrlos. Ein letztes Mal sah er über den Ground Zero, dann wandte er sich dem Eingang zu. Er hatte lange genug gewartet. Er brauchte Mauern und eine Decke über sich.
    Sobald er das Foyer betreten hatte, konnte er wieder freier atmen. Sein eGalaxy zeigte ihm die verschiedenen Eintrittstarife an. Er kaufte ein Einzelticket, autorisierte die Zahlung und trat vor die Sicherheitsschleuse. Der Wachmann winkte ihn gelangweilt vor. »Gepäck aufs Band, auf die Markierung stellen, drei Sekunden die Arme heben.«
    Meph gab seinen Rucksack ab und hob die Hände zögerlich auf Schulterhöhe. Der Sicherheitsmann machte eine ungeduldige Geste. Mephs Widerstand erlosch, und er streckte die Arme zur Decke. Der Körperscanner sprang summend an. Obwohl er wusste, dass es unmöglich war, glaubte Meph zu spüren, wie die Terahertzstrahlen seine Kleidung durchdrangen und wie Ameisenbeine über seine Haut krabbelten.
    »Ich kooperiere doch.«
    Meph sah verunsichert auf. »Was?«
    Der Sicherheitsmann hatte den Kopf schief gelegt. »Ich kooperiere doch? Der Typ aus diesem Clip, das bist doch du.«
    »Nein … Sie müssen sich …«
    »Klar bist du das. Random. Gibt es diese Strahlenkanonen wirklich oder war das nur ein Fake, wie alle sagen?«
    »Ich … Ich sehe nur so aus«, würgte Meph hervor. Er riss seinen Rucksack aus dem Ausgabeschacht und stürmte durch die Schleuse. Ein paar Besucher sahen alarmiert auf, als er vorbeihastete, aber Meph wurde erst langsamer, als das Lachen des Wachmanns hinter ihm verklungen war.
    Im Schatten einer Projektion der getöteten Verfassungsrichter sackte er gegen die Wand. Er zitterte am ganzen Körper und tastete seine Taschen nach einem Plastikröhrchen ab, obwohl er genau wusste, dass er keins finden würde. Ach, Maria …
    Hatte er sie je geliebt? Er wusste es nicht mehr, und nachsehen konnte er jetzt nicht. Vielleicht nie wieder.
    Meph war kein Kämpfer. Beim Rollenspiel wählte er am liebsten starke Charaktere, deren Entschlossenheit niemals ins Wanken geriet, obwohl er selbst ganz anders war; vielleicht auch gerade deswegen. Sobald der Druck auf ihm selbst lastete und nicht auf einer erdachten Figur, zerbrach er wie ein Streichholz. Im Grunde blieb ihm nur eine Option: diesen Bullen anrufen und alles gestehen. Keine Verfolger mehr, kein Katz-und-Maus-Spiel. Vielleicht gab der Kommissar ihm sogar seine Rize zurück.
    In diesem Moment ertönte in Mephs Ohr ein schmerzhaftes Schrillen. Hastig riss er sein Headset herunter. Das eGalaxy zeigte 17:00 Uhr. Er hatte sich selbst den Wecker gestellt, damit er seine Chance auf die Schatten unter keinen Umständen verpasste.
    Meph legte die Stirn an die kühle Wand. Was ließ er Connor immer sagen? Sie mögen in unserem Köpfen sein, aber nicht in unseren Herzen. Er

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