- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
fragte sich, wo er diesen Schwachsinn aufgeschnappt hatte.
Dann stand er auf und machte sich auf die Suche nach dem Filmraum.
Hinter einem schwarzen Vorhang öffnete sich ein noch schwärzerer Raum. Die einzige Helligkeit kam von den Notlichtern über den Ausgängen und vom 3D-Projektor, der irgendeine Terror-Dokumentation abspielte. Meph spähte zu der Überwachungskamera über der Tür, konnte aber nicht erkennen, ob sie funktionierte. Er musste Davids Worten vertrauen.
Er steuerte die letzte Reihe an. Auf halbem Weg erstarrte er. Ein Stuhl war besetzt, und der Winkel, in dem der Mann den Kopf hielt, ließ Meph vermuten, dass er eingeschlafen war. Fieberhaft überlegte er, was er tun sollte. David hatte ihm eingeschärft, dass er in jedem Fall unbeobachtet sein musste. Was Meph tun sollte, wenn andere Besucher hier waren, war nicht zur Sprache gekommen.
Kurz bevor er erneut in Panik verfallen konnte, wachte der Besucher auf und blinzelte zu Meph empor. »Schließen Sie schon?«
Meph murmelte etwas, was er selbst nicht verstand, und trat einen Schritt zur Seite. Ohne ein weiteres Wort huschte der Mann an ihm vorbei und ließ ihn allein zurück.
Allein und unsichtbar.
Als Celik ihm zurief, dass Effenberger verschwunden war, las Stephans gerade zum zwanzigsten Mal das Verhörprotokoll, das er selbst geschrieben hatte und dessen Inhalt er mittlerweile auswendig kannte. Wenn er ehrlich war, rechnete er selbst nicht mehr damit, darin noch einen Hinweis zu finden, dem er nicht schon mehrmals nachgegangen war. Doch Meph blieb weiterhin ein Rätsel, das seiner Lösung harrte.
Stephans hatte petabyteweise Daten gesichtet, die im Verlauf von Mephs Leben angehäuft worden waren, aber auch dieser gewaltige Informationsberg hatte ihm nicht geholfen zu verstehen, was der mutmaßliche Gefährder für ein Mensch war – was er dachte und fühlte, was ihn in seinem Innersten bewegte. Entweder war Meph der oberflächlichste Mensch, dem Stephans je begegnet war, oder der gefühlskälteste. Er fragte sich, welche der beiden Möglichkeiten er als weniger schrecklich empfand.
Seufzend drehte er sich zu Celik um. »Verschwunden? Was soll das heißen?«
»Die visuelle Verbindung ist abgerissen. Schauen Sie.« Ein Totenkopf-Anhänger tanzte an Celiks Ohrläppchen, als er Stephans heranwinkte. Vor der riesigen Datenwand wirkte der Operateur noch kleiner als sonst, ein Zwerg vor einer leuchtenden Landschaft aus Bildschirmfenstern und Projektionen.
Neben Celik gehörten zwei weitere Operateure zur Nachmittagsschicht. Perlinger war eine unerfahrene, aber fähige Datendrohne und von Anfang an in Stephans Team. Der andere, Strauß, war ein Springer, an dessen Stelle Stephans lieber Fenninger gehabt hätte. Die Aufgabe der Operateure war es, die eingehenden Datenströme zu sichten und eine relevante Auswahl auf der Datenwand darzustellen, die die Längsseite des Kommunikationsraums einnahm.
Stephans trat zu Celik und richtete den Blick auf die Zahlenreihen und Kamerabilder. In ihrer Gesamtheit bildeten die Datenströme ein verwirrendes Mosaik, dem man nicht ansah, welches Motiv es darstellen sollte. Zurzeit konzentrierte sich die Auswahl der Operateure auf die Sicherheitskameras im Inneren des Erinnerungszentrums, auf Schwarz-Weiß-Bilder von Korridoren, Ausstellungsräumen und Toilettenkabinen sowie von den Ausgängen des Zentrums. Darüber wurden zwei Totalen vom Platz des 16. Oktober und die Draufsicht der Satellitenkamera angezeigt. Ihre hochauflösenden Livebilder hatten noch keinen nennenswerten Beitrag zu Mephs Verfolgung geleistet, aber wenn die Operateure schon einmal Zugriff auf einen Satelliten hatten, wollten sie nicht darauf verzichten.
Celik hatte recht: Meph war nirgends zu sehen. Sein Livestream war schwarz, so wie schon den ganzen Tag. Laut Celik wartete nicht nur das IKM darauf, dass er wieder online ging. Seitdem der Mitschnitt von seiner Verhaftung im Netz die Runde machte, lauerten tausende digitale Schafe auf die nächste Actionszene, und seit Meph nicht mehr sendete, wuchs ihre Zahl immer schneller. Stephans fragte sich, ob Meph wusste, wie viele Menschen ihm über die Schulter blicken würden, wenn er das nächste Mal online ging.
»Wo haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Im Inneren des Gedenkzentrums«, erklärte Celik. »Auf dem Weg zum Filmraum.«
»Wieso ist dieser Raum ein blinder Fleck?«
»Eigentlich ist er keiner.« Celik deutete auf ein schwarzes Fenster. »Es gibt eine Kamera, aber sie liefert kein
Weitere Kostenlose Bücher