- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
dass du die Geste erwiderst. Dann müsste ich nicht das Gefühl haben, dass du mir nicht vertraust.«
Es war zu dunkel, um ihr Gesicht zu sehen, aber Stephans spürte ihren Blick auf sich brennen. Er zog sie an sich. »Conny, ich vertraue dir mehr als jedem anderen Menschen auf der Welt. Das ist die Wahrheit. Und weil das so ist, haben wir es nicht nötig, uns das durch irgendwelche symbolischen Gesten zu beweisen.«
»Bist du sicher?«, flüsterte sie.
»Absolut sicher.«
»Aber …«
Conny zögerte wieder. Diesmal ließ Stephans sie nicht weiterreden. Er stand auf und warf sie sich wie ein Spielzeug über die Schulter. Als sie ein überraschtes Geräusch machte, legte er den Finger an die Lippen. »Leise. Im Moment ist in diesem Haus niemand wach außer uns beiden. Ich denke, das sollten wir ausnutzen.«
Sie liebten sich so wie früher, ohne auf die Uhrzeit zu achten und ohne gestört zu werden. Sie wechselten nicht viele Worte, und weder Stephans noch Conny schnitt das Thema von eben noch einmal an. Und Stephans wusste, dass sie ihre Frage auch morgen nicht stellen würde, denn wann immer ihre Blicke sich trafen, sah er, dass sie seine Antwort bereits kannte.
// / 10
»Sie glauben, heute sei ein ganz normaler Tag?«
Das glaubte Meph auf keinen Fall, aber es gab niemanden, dem er den Gedanken hätte mitteilen können.
Sein Headset wartete nicht auf eine Antwort. »Als die Einwohner von Berlin an jenem schicksalhaften Oktobermorgen erwachten, glaubten sie ebenfalls, es würde ein Tag wieder jeder andere werden. Das sollte sich als grausamer Irrtum herausstellen. Danke, dass Sie sich dafür entschieden haben, mit dem Berlin Memorial Guide auf den Spuren des Terrors zu wandeln. Ermöglicht mit freundlicher Unterstützung von Siemens-Chrome – kompromisslose Sicherheit für Ihre Daten.«
Mephs Pad zeigte halb fünf. Eine halbe Stunde noch. Er regelte die Computerstimme zu einem Wispern herunter. Im Grunde interessierte er sich nicht für die Nacherzählung des Anschlags, aber der elektronische Führer lieferte ihm einen Vorwand, um sich auf dem Platz des 16. Oktober aufzuhalten. David hatte gesagt, alles hing davon ab, dass das IKM keinen Verdacht schöpfte und seine Leine noch kürzer machte.
Meph ging in die Hocke, um die Schleife an seinem Schuh neu zu binden, und sah sich dabei verstohlen um. Ein paar Pendler hasteten Richtung U-Bahn, und am Straßenrand winkte ein Geschäftsmann vergeblich nach einem Taxi. Auf dem Platz verlor sich eine Busladung Touristen, die Blicke starr auf die Guides auf ihren Pads gerichtet. Niemand interessierte sich für Meph. Selbst die Kameras an den Überwachungsmasten schienen ihn zu ignorieren. Trotzdem schwitzte er, und gleichzeitig prickelten seine Finger in der kalten Luft.
»Richten Sie nun die Kamera Ihres Pads auf das Mahnmal in der Platzmitte«, flüsterte der Softwareguide.
Mephs Rucksack drückte schwer auf seine Schultern. Ein Bratwurstverkäufer mit einem tragbaren Gasgrill musterte ihn. Meph sah weg. In diesem Moment beneidete er die analogen Menschen. Sie hatten Wohnungstüren, die sie hinter sich zuziehen konnten.
»Richten Sie Ihre Kamera auf das Mahnmal in der Mitte des Platzes«, erklang es erneut in seinem Ohr. Meph begriff, dass es auffallen würde, wenn er der Anweisung nicht Folge leistete, und er holte sein Pad hervor. Die Taschen seiner alten Jacke waren größer gewesen, und er musste etwas fummeln, bis er das eGalaxy in der Hand hatte. Mit der Kamera visierte er die stilisierte Flammensäule des Mahnmals an. Sofort überlagerte die Software das Bild mit einer grafischen Rekonstruktion des Gebäudeensembles und dem Sockel des Fernsehturms, der sich bis vor drei Jahren daraus erhoben hatte. Die Software verwandelte Mephs Bildschirm in ein Fenster in die Vergangenheit. Was dahinter lag, war körperlos wie Geister, die sich im Rauch eines Feuers abzeichnen. In der Bildecke rotierte das Siemens-Chrome-Logo.
Er machte es wie die Touristen und erkundete die Umgebung mit vorgehaltenem Pad. Er bewegte sich jetzt durch zwei Welten zugleich: Sein Körper ging über den Platz des 16. Oktober mit dem Terror-Mahnmal und den Scheinwerferbatterien, die nachts den Lichtturm in den Himmel malten, aber vor seinen Augen öffnete sich der Alexanderplatz, so wie er vor dem Anschlag ausgesehen hatte. Meph sah den Fernsehturm und die Marienkirche, den oberirdischen Teil des Bahnhofs und alles andere, was Ephraim damals zerstört hatte. An der Nordostecke des Platzes
Weitere Kostenlose Bücher