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- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken

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Titel: - Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Radloff
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Pads verschwanden und wurden von Fehlermeldungen in allen Farben und Formen abgelöst. Rufe und Gesänge verstummten, als wären sie nicht auf Schall-, sondern ebenfalls auf Funkwellen angewiesen. Die angespannte Ruhe bewirkte bei Meph ein Déjà-vu. Er war wieder auf dem Flug von Schanghai nach Berlin, und in der Kabine fiel das Netz aus. Auch damals hatten die Passagiere, ihn selbst eingeschlossen, erst mit stummem Unglauben reagiert. Dann hatten sie begonnen, einen Schuldigen zu suchen.
    »Achtung, Achtung, hier spricht das Ministerium für Information und Kooperation …« Der Rest der Durchsage ging in wütendem Protestgeschrei unter. Hier und da hörte Meph Rufe, die seine Freilassung und Westphals Verhaftung forderten, manchmal auch umgekehrt. Doch es dauerte nicht lange, bis sich eine Parole durchsetzte, von Mund zu Mund wanderte und schließlich den gesamten Ground Zero ausfüllte: »Ich kooperiere nicht mehr!«
    Meph konnte es nicht in Worte fassen, aber er spürte, wie der Satz sich verselbstständigte. Er war immer noch ein Mem, so wie Cola light und Mentos oder Cat Tail Girl, aber im Gegensatz zu reinen Netzphänomenen überwand »Ich kooperiere nicht mehr« seine virtuelle Natur und ließ sie hinter sich zurück wie ein Schmetterling seinen Kokon. In dem Moment, in dem das IKM die Router abschaltete, zerrissen die Schranken zwischen Internet und echter Welt. In gewissem Sinn war es ein Akt der Schöpfung; die Entstehung von etwas, das nicht mehr nur im Netz existierte, sondern auch in der realen Welt. »Ich kooperiere nicht mehr!« war von einem Gedanken zu einer Waffe geworden.
    Meph wusste nicht, wann es begann oder wer als Erster rannte. Irgendwann geriet die Masse in Bewegung und ließ ihm keine Wahl, als mitzulaufen. Er war in einer Menschenmenge eingekeilt, die es unmöglich machte, stehen zu bleiben oder hinzufallen. Seine Parole hing wie ein Schlachtenbanner über ihren Köpfen, und selbst wenn er es gewollt hätte, hätte Meph nicht aufhören können, sie zu rufen:
    » Ich kooperiere nicht mehr! «
    Von seinem Wagendach aus hatte Stephans einen ausgezeichneten Blick auf das Geschehen. Mit ihren Helmen sahen die Menschen unter ihm aus wie eine Armee beim Sturm auf die feindliche Burg. Die Truppen der Verteidiger bestanden aus ihm selbst und einem halben Zug der Bundespolizei. Er sah die Angst in ihren Augen. Viele Beamte waren sehr jung und hätten seine Kinder sein können.
    Der Ansturm erreichte den Ausgang. Von hinten drängten immer mehr Menschen heran, und die ersten begannen, an den Sperrgittern hinaufzuklettern. Der Lärm war ohrenbetäubend. Stephans glaubte, Hilferufe aus der Menge zu hören, aber das anhaltende »Ich kooperiere nicht mehr!« übertönte alles andere. Ein Hubschrauber flog so dicht über seinen Kopf hinweg, dass er sich duckte, und als er sich aufrichtete, hatte er sein Headset verloren. Die ersten Köpfe tauchten über den Sperrgittern auf. Unten lud der Zugführer seine Maschinenpistole durch.
    Stephans zog seine Pistole und gab in schneller Folge drei Warnschüsse ab. Für den Bruchteil einer Sekunde kam die Menge ins Stocken. Der Zugführer ließ die Waffe sinken und sah zu ihm auf. Stephans dachte an Conny und die Kinder, und die Möglichkeit, dass sie irgendwo in diesem Chaos sein könnten, erstickte seine letzten Zweifel.
    »Geben Sie den Ausgang frei!«
    Er musste seinen Befehl nicht wiederholen. Die Polizisten entriegelten die Gitter und sprangen in Sicherheit, um nicht von der losstürmenden Menge überrannt zu werden.
    »Ich kooperiere nicht mehr! Ich kooperiere nicht mehr!«
    Plötzlich sah Stephans ein bekanntes Gesicht in der Menge. Ohne nachzudenken sprang er vom Dach des Mannschaftswagens und stürzte sich ins Gewühl.
    In einem Pulk, der Tausende zählen musste, rannte Meph im Zickzack zwischen den Mannschaftswagen hindurch. Eine Handvoll Bewaffneter ging ihnen respektvoll aus dem Weg. Meph bewegte sich wie auf Wolken. Er hatte sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen. Er war frei. Jetzt brauchte er nur noch ein sicheres Versteck.
    Er lief weiter, wobei er sich rechts hielt, immer am Rand der Menschenmenge. Bald wurden die Abstände zwischen den Laufenden größer. Mit jeder Abzweigung verteilten sie sich auf die Straßen und Gassen.
    Meph sah einen Spalt zwischen zwei Häusern und schlüpfte hinein. Er warf einen Blick über die Schulter und erkannte, dass ihm niemand folgte. Am Ende der Gasse erhob sich eine Mauer, von deren Krone ein Paar Beine

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