- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
herunterbaumelte. Vor Mephs Augen zog sich die Gestalt vollends hinauf und verschwand auf der anderen Seite. Kurz entschlossen sprintete er los und sprang mit Anlauf in die Höhe. Seine Finger schlossen sich um die steinerne Kante, dann prallte er mit der Brust gegen die Mauer. Als der Schmerz nachließ, versuchte Meph einen Klimmzug.
Er hatte nicht genug Kraft. Meph hing wie ein nasser Sack an der Mauer, und seine Fußspitzen scharrten haltlos über die Steine.
»Hilfe«, krächzte er nach oben, an die andere Seite gewandt. »Bist du noch da? Hallo?«
Niemand antwortete. Mephs Finger verkrampften sich, aber er traute sich nicht, sich fallen zu lassen, ohne den Boden unter sich zu sehen. Wenn er falsch aufkam, würde er sich den Fuß verstauchen.
In der Gasse hörte er Schritte. »Hilfe!«, rief Meph verzweifelt. »Helfen Sie mir rüber!«
Von oben packte jemand seinen Arm. Die Schritte in seinem Rücken brachen ab, und einen Augenblick später ertönte eine tiefe Stimme: »IKM! Ergeben Sie sich!«
Der andere zerrte an Mephs Arm. Unter Aufbietung aller Kräfte strampelte er mit den Beinen. Sein Griff lockerte sich, sodass Meph nur noch mit den Fingerkuppen an der Mauer hing.
»IKM! Keine Bewegung oder ich schieße!«
Für eine Sekunde hatte Meph das lächerliche Bild vor Augen, wie er sich nicht mehr halten konnte und im Sturz erschossen wurde. Dann fand sein suchender Fuß einen Mauerspalt. Er rammte die Schuhspitze hinein, packte den fremden Arm mit beiden Händen und stemmte sich mit aller Kraft hinauf. Jeden Moment rechnete er mit einer Kugel. Dann war er oben. Er wälzte sich zur Seite und über die Mauerkrone, bis nichts mehr unter ihm war. Er fiel, schlug hart auf, fiel noch einmal und landete mit einem brutalen Ruck auf dem Boden.
Jemand riss ihn auf die Beine. Meph musste sich auf die Lippe gebissen haben, denn sein Mund war voll mit warmem Blut, aber der andere zerrte ihn einfach hinter sich her. Meph hatte Mühe, ihm zu folgen. Immer wieder stolperte er oder fiel auf ein Knie, und jedes Mal wurde er wieder hochgerissen. Als sie endlich stehen blieben, krümmte er sich gegen eine Hauswand und erbrach sich.
Als er sich wieder aufrichten konnte, reichte der andere ihm ein Taschentuch. Meph klammerte sich an das weiche Stück Zellstoff, als sei es das einzige reale Ding im Universum.
»Ich glaube, wir haben sie abgehängt«, sagte sein Retter. Es war eine Frau. Mittlerweile trug sie das Haar kurz und blond, aber Meph erkannte den scheuen Ausdruck wieder, der ihm schon in dem News-Video aufgefallen war. Vor ihm stand die Todespilotin von Flug 799.
// / 13
»Scheiße«, murmelte Rebekka ungläubig. »Du bist der, den sie suchen.«
Meph rang noch immer nach Luft.
»Mist! Du bist dieser Michael oder wie immer du heißt …« Sie verstummte und sah sich alarmiert um, ob jemand in Hörweite war.
»Meph«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich heiße …«
»Ist mir doch egal!«, zischte sie. »Der Terroralarm, die Großfahndung – alles deinetwegen! Und ich dachte, du bist nur irgendein Typ.«
»Aber das bin ich doch«, erwiderte Meph. »Ich bin ein Niemand. Ich habe keinem Menschen etwas getan, im Gegensatz zu anderen.« Er biss sich auf die Lippe, aber es war schon zu spät.
»Und das soll ich dir glauben? Was soll das überhaupt heißen, im Gegensatz zu anderen?«
»Gar nichts«, wehrte er ab. »Vielen Dank.«
»Wofür?«
»Deine Hilfe. Alleine hätte ich es nicht über die Mauer geschafft.«
»Vergiss es«, entgegnete sie säuerlich. »Ich hätte keinen Finger für dich gerührt, wenn ich dich rechtzeitig erkannt hätte.« Sie machte den Eindruck, als ob sie sich sehnlichst wünschte, dass es genau so gekommen wäre.
Meph wusste nicht, was er sagen sollte, und hielt den Mund. Ein paar Zivilisten liefen vorbei, wobei sie die Lichtkegel unter den Straßenlampen mieden. Flüchtlinge vom Platz des 16. Oktober, die nach Hause wollten, bevor das IKM sie festnahm. Der Anblick erinnerte Meph daran, dass er noch immer gesucht wurde, und er drehte das Gesicht zur Mauer. Aber die Passanten sahen nicht einmal in seine Richtung. Wahrscheinlich hielten sie Rebekka und ihn für Zivilbullen, weil sie herumstanden, anstatt davonzulaufen.
Als sie außer Hörweite waren, räusperte Meph sich umständlich. »Ich schätze, ich muss weiter.«
Rebekka nickte.
Er rührte sich nicht.
»Viel Glück«, sagte sie.
»Ja. Danke.« Er nestelte noch einen Augenblick an seiner Jacke herum, aber Rebekka machte keine
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