Schwarzwaelder Dorfgeschichten
immer so gut von ihm gered't, und du hast Unrecht, daß du jetzund so über ihn losziehst. Wenn er auch den Spaß mit dem Ausschellen gemacht hat, er ist doch nicht stolz, er red't so gemein und so getreu.« –
»Ich kann nichts sagen als: nimm dich vor ihm in Acht, und du bist kein Kind mehr.«
»Ja das mein' ich auch, ich weiß doch auch wie Einer ist, ich ...«
»Gib mir mein Goller, du zerdrückst's ja wieder,« sagte Bärbel und ging davon.
Reinhard wandelte sonntäglich gekleidet mit Stephan und Martin nach der Kirche. Alles nickte ihm freundlich zu, Manche lachten noch über die seltsame Bartzier, aber der Träger derselben war ihnen doch heimisch; sie fühlten es dunkel, daß er zu ihnen gehörte, da er nach demselben Heiligthume, zu derselben Geistesnahrung mit ihnen wallfahrtete.
Auf dem Wege fragte Martin: »Nun was saget Ihr aber zu unserm Lorle? nicht wahr, das ist ein Mädle?«
»Ja,« entgegnete Reinhard, »das Lorle ist gerad wie ein feingoldiger Kanarienvogel unter grauen Spatzen.«
»Es ist ein verfluchter Kerle, aber Recht hat er,« sagte Martin zu Stephan.
Reinhard saß bei dem Schulmeister auf der Orgel, der brausende Orgelklang that ihm wundersam wohl, er durchzitterte sein ganzes Wesen wie ein frischer Strom. Die Bärbel, die ihn jetzt von unten sah, dachte in sich hinein: Er ist doch brav! Wie seine Augen so fromm leuchten! Reinhard hörte nur den Anfang der Predigt. An den Text: »Lasset euer Brod über das Meer fahren,« wurde eine donnernde Strafrede angeknüpft, weil das ganze Dorf sich verbunden hatte, nichts für das zu errichtende Kloster der barmherzigen Schwestern beizusteuern. Reinhard verlor sich bei dem eintönigen und nur oft urplötzlich angeschwellten Vortrage in allerlei fremde Träumereien. Drunten aber lag die Bärbel auf den Knien, preßte ihre starken Hände inbrünstig zusammen und betete für Lorle; sie konnte nun einmal den Gedanken nicht los werden, daß dem Kinde Gefahr drohe, und sie betete immer heftiger und heftiger; endlich stand sie auf, fuhr sich mit der Hand bekreuzend über das Gesicht und wischte alle Schmerzenszüge daraus weg.
Der Orgelklang erweckte Reinhard wieder, er verließ mit der Gemeinde die Kirche. Nicht weit von der Kirchenthüre stand die Bärbel seiner harrend; indem sie ihr Gesangbuch hart an die Brust drückte, sagte sie zu Reinhard: »Grüß Gott!« Er dankte verwundert, er wußte nicht, daß sie ihn erst jetzt willkommen hieß.
Als Reinhard nun noch einen Gang vor das Dorf unternahm, begegnete ihm der Collaborator mit einem gespießten Schmetterling auf dem Mützenrande.
»Was hast du da?« fragte Reinhard.
»Das ist ein Prachtexemplar von einem
papilio Machaon,
auch Schwalbenschwanz genannt; er hat mir viel Mühe gemacht, aber ich mußte ihn haben, mein Oberbibliothekar hat noch keinen in seiner Privatsammlung; es waren zwei, die immer in der Luft mit einander kosten, immer zu einander flatterten und wieder davon; sind glückselige Dinger, die Schmetterlinge! Ich hätte sie gern beide gehabt oder bei einander gelassen, habe aber nur einen bekommen, und schau wie ich aussehe; in dem Moment wie ich ihn haschte, bin ich in einen Sumpf gefallen.«
»Und Stecknadeln hast du immer bei dir?«
»Immer; sieh hier mein Arsenal,« er öffnete die innere Seite seines Rockes, dort war ein
R
aus Stecknadelköpfen gesetzt.
»Aber daß ich's nicht vergesse,« fuhr er fort, »ich habe das Wort gefunden.«
»Welches Wort?«
»Das Epitheton für das Mädchen: wonnesam ! Es ist ein Vorzug unserer Sprache, daß dieses Wort transitiv und intransitiv ist, sie ist voll Wonne und strahlt Jedem Wonne in die Seele. Aber halt! Eben jetzt, indem ich rede, finde ich das Urwort, das ist's: Marienhaft ! Was die Menschheit je Anbetungswürdiges und Wonniges in der Erscheinung der Jungfrau erkannte, das drängte sie in dem Wort Maria zusammen. Das kann keine andere Sprache, solch ein
nomen proprium
allgemein objektivisch bilden. Marienhaft ! das ist's.«
Reinhard ward still; nach einer Weile erst frug er:
»Warst du die ganze Zeit im Walde?«
»Gewiß, o! es war himmlisch, ich habe einen tiefen Zug Waldeinsamkeit getrunken. Sonst wenn ich den Wald betrat, war mir's immer, als ob er schnell sein Geheimniß vor mir zuschließe, als ob ich nicht würdig sei, durch diese heiligen Säulenreihen zu schreiten und den stillen Chor der ewigen Natur zu vernehmen; mir war's immer, als ob beim letzten Schritte den ich aus dem Walde thue, jetzt erst hinter mir das
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