Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
wie tot, als sie erschossen wurden. Schwere Schädelverletzungen.«
»So sah das ja auch aus«, sage ich.
»Da wollte jemand auf Nummer obersicher gehen«, sagt er.
»Sonst noch was?«
»Tatzeit muss zwischen einundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr gewesen sein«, sagt er. »Und wir haben ein bisschen DNA. Hautpartikel unter Walts Fingernägeln, die nicht ihm gehören. Er hat offensichtlich noch Zeit gehabt, sich zu wehren.«
»Haben Sie mit Betty Kirschtein gesprochen?«, frage ich.
»Ich musste mit ihrem Assistenten vorliebnehmen. Unsere Chefpathologin redet nicht mehr mit mir«, sagt er.
»Seit wann das denn?«
»Seit ungefähr vier Wochen. Ich hab’s tatsächlich geschafft, dass sie mit mir ausgeht. Aber dann hab ich’s verbockt. Und jetzt ist sie sauer.«
»Was haben Sie denn verbockt?«, frage ich.
»Ach«, sagt er. »Ich hab’s halt verbockt.«
Pause. Dann: »Bin einfach aus der Übung.«
Der Calabretta wünscht sich nichts sehnlicher als eine Frau und eine Familie, das hat er oft durchblicken lassen. Und von nichts auf der Welt ist er so weit entfernt. Er kriegt das irgendwie nicht gebacken. Erstens ist er sehr geschickt darin, sich dermaßen mit Arbeit zuzudröhnen, dass er auf keinen Fall die Zeit findet, sich mal ein bisschen an eine Frau ranzuwanzen. Zweitens wird er immer im entscheidenden Moment stockfischig, wenn er eine Frau wirklich gut findet. Hat er mir mal erzählt. Er wird dann wohl richtig unhöflich. Benimmt sich wie ein struppiger Hund auf Pinkeltour. Dann, wenn die Frauen es geschmeidig wollen. Klingt für mich ja nach Angst vor Nähe. Sagt aber natürlich auch genau die Richtige.
»Und was gibt’s Neues aus der Ballistik?«, frage ich. Ich will ihn auf andere Gedanken bringen. Mir tut’s leid, dass ich Betty erwähnt habe. »Das hübsche Schießeisen, das neben den beiden auf der Couch lag, war das die Tatwaffe?«
»Yup«, sagt der Calabretta. »Ein alter Smith & Wesson-Revolver aus Walt Tuckers Waffenschrank. Kaliber .38 Special.«
»Schönes Ding«, sage ich.
»Klassische Liebhaberwumme«, sagt er. »Richtet auch immer ordentlich was an.«
»Soll uns das was sagen?«, frage ich.
»Na ja«, sagt der Calabretta, »mit der eigenen Pistole zu schießen und die dann auch wieder mitzunehmen wäre irgendwie diskreter gewesen. Aber deshalb muss ja nicht gleich eine Botschaft dahinterstecken. Wir treffen uns morgen Nachmittag im Präsidium zur ersten Besprechung. Meine Jungs zerpflücken gerade den Tuckerschen Hintergrund. Wenn Sie möchten, können Sie ja dazukommen.«
Natürlich möchte ich.
»Wieso sind Sie vorhin eigentlich so schnell verschwunden?«, fragt er.
Ich lege auf, weil ich husten muss.
*
Die Musik ist traurig, und sie ist spöttisch, und sie geht mir sofort ans Herz. Ich kenne die Melodie nicht, aber es ist, als hätte ich sie schon mein ganzes Leben lang gehört. Eine sehr verdrehte Balkanmusik, die ein bisschen klingt wie die Essenz von Musik. Die ursprüngliche Idee. Als wäre es genau so gemeint gewesen. Ich gehe zum Fenster. Die Musik wird immer lauter. Ich mache das Fenster auf und kucke runter auf die Straße, und da sind sie: zwei heruntergekommene Typen, der eine hat eine Trompete, der andere ein Schifferklavier. Sie schlingern unsere Straße entlang, ich glaube, die sind angetrunken, wenn nicht sogar völlig besoffen. Ihre Teufelsmusik geht mir so nah, ich fang gleich an zu heulen. Sie torkeln bis zum Ende der Straße, die Musik wird nur langsam leiser. Ganz dahinten, bevor sie links abbiegen, bleiben sie stehen, hören kurz auf zu spielen und rufen was in die Dämmerung. Natürlich verstehe ich die Sprache nicht, niemand hier kann das verstehen. Aber ich glaube, sie erwarten auch von niemandem eine Antwort. Dann spielen sie weiter, ein neues Lied, aber es klingt mir genauso vertraut wie das erste.
In Frankfurt, als ich studiert habe, gab es eine alte Frau in unserem Haus, die sah aus wie eine Zigeunerin aus einem Märchen. Die hat mir genauso zugesetzt. Ich hätte jedes Mal heulen können, wenn ich die auch nur von weitem gesehen hab. Habe mich immer gefragt, was das soll, hab’s aber nie begriffen. Mit dem Balkan hab ich ja nun wirklich gar nichts zu tun. Aber so was gibt’s halt.
Die beiden sind schon lange nicht mehr zu sehen, da kleben ihre Melodien immer noch in unserer Straße. An den Wänden, an den Fenstern, in meinem Gehirn. Würde ich tanzen, würde ich jetzt tanzen.
Ich kriege einen höllischen Hustenanfall.
*
Klatsche steht in
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