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Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Titel: Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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Toast-and-Grill-and-Schieß-mich-tot-Maschine deutet nichts auf die Vereinigten Staaten hin. Ich ziehe die Schublade des Tischchens auf. Ein paar Obstmesser, Gummibänder, eine Bastelschere, eine Garnrolle. Eine Postkarte. Vorne drauf, verblichen: das Weiße Haus, in die Ecken sind Hibiskusblüten montiert. Die Karte sieht aus, wie Karten in den frühen Achtzigern eben aussahen. Billig und pompös und auf eine blöde Art immer nach Hawaii. Hintendrauf steht: My dear Lorraine! Look how close I am to the President … kissing you: Louise. Ich stecke die Karte in meine Manteltasche und gehe über den klebrigen Küchenfußboden und durch den dunklen Flur und weiter ins Schlafzimmer. Der Faller steht mit dem Rücken zu mir im Wohnzimmer. Er sieht sich die blutige Couch an, auf der Walt und Lorraine gestorben sind. Ich weiß, dass er sich das nicht gerne ankuckt. Ich weiß aber auch, dass der Herr Kommissar in Rente nicht so einfach Rentner sein kann. Könnte ich ja genauso wenig. Aber muss er denn unbedingt weiter Mörder suchen? Kann man als Schnüffler nicht einfach ein paar untreue Ehefrauen beschatten?
    »Könnten Sie nicht einfach ein paar untreue Ehefrauen beschatten?«
    Der Faller dreht sich zu mir um und sieht mir in die Augen. Er sagt nichts, legt aber die Stirn in Falten. Dann wendet er sich wieder der Couch zu.
    Okay. Kann er nicht. War ja auch nur eine Idee.
    Ich ziehe mich zum Husten ins Schlafzimmer zurück, das mein persönlicher Alptraum von einem Schlafzimmer ist. Komplett in Rosa gehalten. Blümchenrosa, Schweinchenrosa, zartes Pink. Und überall Plüsch und Volants, ich weiß gar nicht, wo ich hinkucken soll. Ich ziehe die Schubladen der puderfarbenen Kommode auf. Büstenhalter. Hüfthalter. Nylonstrumpfhosen. In Rosa und hautfarben. Seife aus den sechziger Jahren. In Rosa, Lila, Apricot. Zwei Zweitfrisuren. Eine blonde für Lorraine, eine rötlich braune für Walt, außer Haus trugen beide offensichtlich hin und wieder etwas dicker auf. Ganz unten finde ich ein in weißes Seidenpapier eingeschlagenes Fotoalbum. Die Tucker-Hochzeit. Die junge Lorraine hat was Schwüles, Saftiges in ihrem puffigen Sahnetortenkleid. Gar nicht mal so übel. Ein republikanisches Pin-up. Walt sieht aus wie ein leicht dicklicher und unemotionaler Burt Lancaster, aber es geht eigentlich. Nur die Hose seines Hochzeitsanzugs ist den entscheidenden Tick zu kurz und macht ihn unwiderruflich zur Lachnummer. Auf einem großen Familienfoto sind sie zu neunt: in der Mitte Walt und Lorraine, links von Walt stehen vermutlich seine Eltern und sein Bruder mit Frau, rechts von Lorraine ihre Eltern. Das neben Lorraines Eltern könnte ihre Schwester sein, vielleicht die Louise von der Postkarte. Aber irgendwie ist die Ähnlichkeit nicht so eindeutig wie bei Walt und seiner Verwandtschaft. Über dem Bild steht in blasser Schrift: On a beautiful summer day in 1967 … Ich klappe das Album zu und packe es zurück in die Kommode.
    »Faller?«
    »Küche«, sagt er.
    Sehr gut. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, hier alleine zu sein, und das war kein schönes Gefühl. Ich gebe so was ja nicht gerne zu, aber ich glaube, diese Wohnung hier könnte mich schnell das Fürchten lehren. Irgendwas ist da. Es fühlt sich an, als wäre es auch vor dem Mord schon eine ganze Weile ziemlich schlimm gewesen. Keine Liebe in der Bude. Nicht mal Gleichgültigkeit, wie sonst bei alten Paaren oft. Es ist eher, als hätten Walt und seine Frau sich herzhaft gehasst. Sich im Laufe der Zeit hassen gelernt, wegen einer Sache. Ja. So kommt mir das hier vor. Manchmal hab ich das: eine tiefe, unheimliche Ahnung von dem, was geschehen sein könnte. Ich weiß nicht, wo das herkommt, warum ich das habe. Vielleicht passiert so was mit Menschen, die viel alleine sind. Die früh gelernt haben, Stille zu interpretieren, in all ihren Schattierungen. Die Stille erzählt jede Menge, ich weiß das, ich hab ihr oft genug zugehört.
    Vielleicht kommt mir das aber auch alles nur so beklemmend vor, weil wir hier in einer Totenwohnung sind. Ich bin ja so selten in Totenwohnungen. Meine Leichen liegen meistens irgendwo am Wasser oder auf der Straße herum. Ich gehe zum Faller in die Küche, auf dem Weg kriege ich einen sauberen Hustenanfall.
    Der Faller kuckt aus dem Fenster.
    »Waren Sie schon beim Arzt?«, fragt er.
    »Waren Sie schon beim Arzt?«, frage ich.
    »Ja«, sagt er, »letzte Woche. Und bis auf meinen beschissenen Cholesterinwert ist alles in Ordnung. Zumindest hab ich

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