Schweig um dein Leben
sagte, sie hätte nicht das Gefühl, in Gefahr zu sein, und wolle ihre Freunde und ihre gesellschaftlichen Aktivitäten nicht aufgeben.«
»Aber wir können doch nicht einfach so aus ihrem Leben verschwinden!«, rief Mom. »Sie ist dickköpfig und liebt ihre Unabhängigkeit, aber wir sind ihre Familie! Was, wenn sie krank wird oder einen Unfall hat? Sie muss doch wissen, wie sie uns im Notfall erreichen kann.«
»Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass es keinen Notfall geben wird«, erwiderte Rita. »So wie wir die Lage im Moment einschätzen, richtet sich die Gefahr ausschließlich auf Sie, nicht auf Ihre Mutter. Sie können nur in dieses Programm aufgenommen werden, wenn Sie sämtliche Brücken zu Ihrem alten Leben abbrechen. Das ist hart, ich weiß, aber es gibt keine Alternative.«
»Was wird aus Porky?«, rief Bram plötzlich.
Rita zog fragend die Brauen hoch. »Porky?«
»Mein Cockerspaniel«, sagte Bram. »Grandma hat ihn in eine Hundepension gebracht, und jetzt hat er bestimmt schon total Angst, dass ich nie mehr zurückkomme und ihn hole.«
»Ich bin mir sicher, dass sich deine Großmutter um ihn kümmern wird«, versicherte Rita ihm. Dann stutzte sie plötzlich und sah Bram mit zusammengekniffenen Augen an. »Täusche ich mich, oder hat der Junge verschiedenfarbige Augen?«
»Das liegt in der Familie«, antwortete Mom mit einem rechtfertigenden Unterton. »Mein Vater hatte ein blaues und ein braunes Auge.«
»Ich fürchte, das könnte ein Problem werden«, seufzte Rita. »Zweifarbige Augen sind sehr selten. Das wird unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich ziehen.«
»Vielleicht kann ich ja eine Sonnenbrille aufsetzen?«, schlug Bram vor, der das Thema Porky kurzzeitig vergessen zu haben schien.
»Ja, das wird wohl fürs Erste das Beste sein«, sagte Rita. »Allerdings wirst du so schnell wie möglich Kontaktlinsen benötigen.«
»Kontaktlinsen?« Bram zog eine Grimasse. »Ich will keine Kontaktlinsen!«
»Du musst sie ja nicht für immer tragen«, tröstete ihn Mom.
»Wie lange?«, fragte ich. »Wie lange werden wir weg sein?« Ich verstand nicht, warum wir solche Dinge wie Schulwechsel und dass Dad sich selbstständig machen sollte, überhaupt in Betracht zogen. Mal abgesehen davon, dass es mich ziemlich verstörte. Ich hatte gedacht, das Berufungsgericht würde die Verhandlung noch in diesem Sommer aufnehmen. Das konnte doch nur bedeuten, dass wir vor Schulbeginn wieder in Norwood sein würden.
Bevor Rita antworten konnte, brach Bram plötzlich in Tränen aus. »Ich will keine Kontaktlinsen!«, schrie er. »Ich will nicht, dass mir irgendwas im Auge steckt! Und Lorelei darf Porky nicht haben! Er ist mein Hund, nicht ihrer! Sie kann Porky noch nicht mal leiden!«
Bram war so außer sich, dass Mom und Dad es für besser hielten, das Gespräch abzubrechen. Nachdem Rita Green sich auf den Weg zurück nach Washington gemacht und Bram sich wieder beruhigt hatte, wir uns etwas zu essen geholt und den Abend damit verbracht hatten, Sitcoms zu schauen, lag ich von meiner schlafenden Familie umgeben im Bett und beobachtete die Lichter, die vorbeifahrende Autos an die gegenüberliegende Wand warfen. Und erst in dem Moment, als ich noch einmal die seltsame Unterhaltung Revue passieren ließ, wurde mir klar, dass die Frage, die ich gestellt hatte, nicht beantwortet worden war.
SIEBEN
Fünf Tage später stattete Rita Green uns einen zweiten Besuch ab. Dieses Mal brachte sie einen Ordner mit hochoffiziell aussehenden Unterlagen mit, der unter anderem vier Geburtsurkunden, vier Pässe und eine Heiratsurkunde enthielt.
Der Name auf der Geburtsurkunde meines Vaters lautete »Philip Weber« und der Mädchenname meiner Mom »Ellen Paul«. Auf der Urkunde war ihr tatsächliches Hochzeitsdatum aufgeführt.
»Wenigstens können wir auch weiterhin unseren echten Hochzeitstag feiern«, seufzte Mom.
Auf Brams Geburtsurkunde stand der Name »Jason Weber«, auf meiner »Valerie Weber«, ein Name, den ich sofort hasste. Nicht dass ich April besonders toll fand. Ich hatte schon immer gefunden, dass er ein bisschen nach naivem Soap-Dummchen klang. Aber ich wusste, dass ich mich mit »Valerie« niemals wohlfühlen würde. Als ich den Namen hörte, kam mir sofort Steves Exfreundin in den Sinn und wie sie sich auf Sherrys Party an Bobby Charo rangeschmissen hatte.
»Ich will auf keinen Fall Valerie heißen«, sagte ich. »Damit kann ich mich wirklich überhaupt nicht identifizieren. Warum
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