Schweig um dein Leben
paar Cousins. Meine Eltern und mein Bruder starben im Sommer nach meinem Highschool-Abschluss bei einem Autounfall. In den darauffolgenden Jahren habe ich mich mehr oder weniger treiben lassen, mal diesen, mal jenen Job ausprobiert, wie man das in dem Alter eben macht. Als Liz und ich uns kennenlernten, arbeitete ich in einem Skiresort in den Catskill Mountains. Ich bin noch nie westlich des Mississippi gewesen und noch nie weiter im Süden, als wir es jetzt sind.«
»Was ist mit Ihnen, Mrs Corrigan?«, fragte Rita.
»Ich bin ein Einzelkind und in Norwood aufgewachsen«, antwortete Mom. »Meine Mutter lebt immer noch dort und organisiert regelmäßig Wohltätigkeitsveranstaltungen. Außer ihr habe ich keine engen Angehörigen mehr, und bis auf das Jahr, das ich in North Carolina an der Duke University verbracht habe, bin ich noch nie irgendwo anders gewesen als in Virginia.«
»Das klingt, als wäre die Westküste ein guter Ort für Sie«, sagte Rita und machte sich eine kurze Notiz, bevor sie fortfuhr. »Es ist einfach, in Kalifornien Fuß zu fassen und nicht aufzufallen. Die Fluktuation in diesem riesigen Bundesstaat ist so groß, dass kaum einer den anderen fragt, woher er kommt.«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte Mom. »Ich könnte von Bibliothekaren und Englischlehrern erkannt werden.«
Rita runzelte verwirrt die Stirn. »Warum das?«
»Meine Frau ist Autorin«, erklärte Dad. »Sie schreibt Kinderbücher. Letztes Jahr hat sie die ›California Young Readers Medal‹ gewonnen und eine Dankesrede auf einer Tagung des kalifornischen Bibliothekarsverbands gehalten.«
»Hatten Sie viele solcher Auftritte?«, fragte Rita.
»Nur auf pädagogischen Fachtagungen«, antwortete Mom.
»Das birgt in der Tat ein sehr hohes Risiko«, sagte Rita nachdenklich. »Egal an welchen Ort wir Sie umsiedeln, Ihre Kinder werden dort zur Schule gehen, und da braucht es nur einen einzigen Lehrer, der Sie auf einer dieser Tagungen gesehen hat, und schon würde Ihre gefälschte Identität auffliegen.«
»Da fällt mir ein, dass ich nächsten Monat einen Vortrag halten sollte«, sagte Mom. »Gibt es eine Möglichkeit, wie ich den Veranstaltern mitteilen kann, dass ich nicht daran teilnehmen werde?«
»Darum kümmern wir uns. Geben Sie uns einfach die Kontaktdaten.« Rita wandte sich an Dad. »Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
»Wovon werden wir leben?«, fragte Dad. »Wie komme ich ohne Referenzen an einen Job?«
»Auch darum werden wir uns kümmern«, sagte Rita. »Für gewöhnlich schicken wir unsere Zeugen in die Selbstständigkeit, denn wenn Sie der Inhaber und Betreiber Ihres eigenen kleinen Geschäfts sind, wird niemand einen Grund haben, Sie nach Qualifikationen zu fragen. Wir halten ständig Ausschau nach günstig zu erwerbenden Kleinunternehmen. Die Kosten dafür werden selbstverständlich von unserer Behörde getragen.«
»Sie meinen, ich habe keinerlei Einfluss darauf, in welcher Branche ich arbeiten werde?«, hakte Dad fassungslos nach.
»Ich fürchte, nein. Das hängt davon ab, was gerade zur Verfügung steht.«
»Das klingt nicht besonders ermutigend«, sagte Dad bitter. »Ein Unternehmen, das günstig zu erwerben ist, wie Sie es nennen, ist in der Regel nicht gerade eine Goldgrube.«
»Keine Sorge, Mr Corrigan«, beruhigte Rita ihn. »Wir stellen Ihnen Bargeld zur Verfügung, damit Sie über die erste Zeit kommen, bis wir Ihre sämtlichen Vermögenswerte zu Geld gemacht haben. Dazu habe ich hier einige Unterlagen für Sie vorbereitet, die Sie mir bitte unterschreiben müssten, damit sich unsere Behörde um die Abwicklung kümmern kann. Was besitzen Sie außer Ihrem Haus und dem Mobiliar?«
»Zwei Autos«, sagte Dad. »Einen SUV , der auf Liz zugelassen ist, und einen Volvo, der auf meinen Namen läuft. Außerdem hat jeder von uns eine Lebensversicherung und diverse Aktien. Mein Börsenmakler John Scarbrough arbeitet für Morgan Stanley. Ach ja, und dann ist da noch meine Betriebsrente bei Southern Skyways, aber ich vermute mal, die kann ich mir jetzt abschminken.«
»Wir werden einen Anwalt damit beauftragen, sie einzuklagen.« Rita klappte ihre Aktenmappe zu. »Haben Sie sonst noch Fragen?«
»Ja«, sagte Mom. »Was ist mit meiner Mutter? Ich habe jetzt schon seit Wochen keinen Kontakt mehr zu ihr.«
Rita zögerte kurz, bevor sie antwortete. »Max hat mit Mrs Gilbert gesprochen und ihr angeboten, an dem Zeugenschutzprogramm teilzunehmen. Aber Ihre Mutter hat abgelehnt. Sie
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