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Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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neben mir auf dem Gangplatz saß, ließ sich ein Sprite geben.
    »Eigentlich mag ich Cola lieber«, gestand sie mir mit verschwörerischem Lächeln. »Aber ich habe Angst, dass ich sie verschütte, wenn es Turbulenzen gibt. Meine Mom hat mir das Kleid extra für die Reise gekauft, und Cola bekommt man nur ganz schwer wieder raus.«
    »Oh«, sagte ich und schaute kurz an mir hinunter, »was das angeht, muss ich mir wohl keine Sorgen machen.« Weil wir so überstürzt aufgebrochen waren, hatte ich keine Zeit gehabt, meine Jeans und mein T-Shirt zu wechseln.
    Das Mädchen warf mir einen leicht missbilligenden Blick zu. »Meine Mom sagt immer, wenn man verreist, soll man es stilvoll tun und sich hübsch anziehen. Was ist denn mit deinen Haaren passiert? Hatte dein Friseur einen schlechten Tag? Die eine Seite ist viel länger als die andere.« Sie wartete meine Antwort nicht ab. »Ich bin übrigens Abby Keller. Ich besuche in den Sommerferien meinen Vater und seine zweite Frau.«
    Dann stellte sie die unvermeidliche Frage. »Und wie heißt du?«
    Ich erstarrte einen Augenblick, unfähig zu antworten. Obwohl ich mich nicht länger April Corrigan nennen durfte, war ich noch nicht bereit, Valerie Weber zu sein. Wobei ich mir ziemlich sicher war, dass ich nie dafür bereit sein würde, und ich beschloss, das Unvermeidliche wenigstens noch bis zu unserer Ankunft in Florida hinauszuzögern.
    »April Weber«, antwortete ich schließlich, indem ich mich für einen Kompromiss entschied.
    »Und wo wollt ihr hin?«, fragte Abby mich weiter aus. »Bleibt ihr in Sarasota oder reist ihr weiter?«
    Ich nickte und begann mich immer unbehaglicher zu fühlen.
    »Hast du’s gut«, seufzte Abby. »Da würde ich auch gern hin. Direkt am Meer zu wohnen und jeden Tag an den Strand gehen zu können muss toll sein. Aber mein Vater und seine Frau leben in Shitville. Na ja, so heißt der Ort natürlich nicht wirklich, aber ich nenne ihn so. Stell dir vor, die einzigen Filme, die da im Kino laufen, sind so alt, dass sie schon auf DVD rausgekommen sind.«
    Ich blinzelte zu Mom rüber. Sie hatte ihren Wodka Orange ausgetrunken, lehnte mit dem Kopf am Fenster und war offensichtlich eingeschlafen. Hinter dem Doppelglas bauschten sich rauchfarbene Wolken und der Himmel verdunkelte sich allmählich. Moms Gesicht wurde vom Leselicht beleuchtet, das ihre voller gewordenen Wangen betonte. Genau wie ich hatte sie während der letzten Wochen, in denen wir dazu verdammt gewesen waren, uns die Zeit mit lesen, fernsehen und essen zu vertreiben, ein paar Kilo zugenommen. Als ich sie so betrachtete, kam sie mir beinahe wie eine Fremde vor. Das war nicht die Autorin Elizabeth Corrigan. Die Frau, die neben mir döste, war Ellen Paul Weber.
    »Ich wette, Dad und Margaret haben noch nicht einmal einen DVD -Player«, plapperte Abby derweil unbekümmert weiter. »Wahrscheinlich verkaufen sie so etwas in diesem Provinzkaff gar nicht. Wenn meine Eltern sich schon scheiden lassen mussten, hätte Dad wenigstens irgendwohin ziehen können, wo es aufregender ist, zum Beispiel nach Miami oder nach West Palm Beach. Aber nein, er ist zu Margaret nach Shitville gezogen. Und nachdem sie ihn dazu gebracht hat, sie zu heiraten, hat sie sich geweigert, von dort wegzugehen, weil ihre Tochter erst in einem Jahr ihren Highschool-Abschluss macht und sie außerdem unbedingt in der Nähe ihrer Schwester bleiben will. Sind deine Eltern auch geschieden? Ist dein Dad deswegen nicht bei euch?«
    Ich murmelte eine unverbindliche Antwort, als zu meiner Erleichterung die Flugbegleiterin, die die Getränke gebracht hatte, mit dem Snackwagen zurückkam. Das Angebot war nicht gerade überwältigend, deswegen machte ich mir nicht die Mühe, Mom aufzuwecken, aber ich nahm ein Tütchen mit kleinen Salzbrezeln und war froh, als ich sah, dass Abby sich auch eines geben ließ. Ich hoffte, dass sie dann zu reden aufhören würde, doch kaum hatte sie sich eine Handvoll Brezeln in den Mund gesteckt, fuhr sie kauend fort, mich mit Details über die Scheidung und neuen Partner ihrer Eltern zu versorgen.
    Schließlich wusste ich mir nicht mehr anders zu helfen, als meinen Sitz nach hinten zu stellen und die Augen zu schließen. Unglaublicherweise verstand Abby den Wink mit dem Zaunpfahl und verstummte. Ich konzentrierte mich auf das einschläfernde Brummen der Motoren, und das Nächste, was ich wieder wahrnahm, war die Lautsprecherdurchsage, in der die Passagiere gebeten wurden, die Tische hochzuklappen, die

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