Schweig um dein Leben
Verhalten nach, als ich sah, dass es in Strömen regnete. Unschlüssig starrte ich noch eine Weile auf die sintflutartig vom Himmel stürzenden Wassermassen. Zu Fuß nach Hause zu gehen schied definitiv aus. Bis in die Lemon Lane waren es zwar nur etwa fünfzehn Minuten, aber bei diesem Wolkenbruch wäre ich schon nach ein paar Sekunden klatschnass. Um meine Rückkehr in den Kinosaal trotzdem noch ein bisschen weiter hinauszuzögern, ging ich schließlich tatsächlich auf die Toilette.
Kaum hatte ich mich in einer der Kabinen eingeschlossen, wurde die Tür zum Waschraum aufgerissen, und ich hörte die Stimmen zweier Mädchen, die sich angeregt unterhielten.
»… soll angeblich super Tennis spielen«, sagte die eine gerade. »Kim behauptet, dass nichts zwischen den beiden läuft und er es einfach nur cool findet, jemanden zum Trainieren zu haben, aber das glaube ich nicht. Ich meine, du hast ja selbst gesehen, wie er sich vorhin an sie rangeschmissen hat. Wenn du mich fragst, ist Tennis das Letzte, worauf er es bei ihr abgesehen hat.«
»Kim ist so naiv, die glaubt auch noch an den Weihnachtsmann!«, prustete die andere. »Wenn ihr Macho-Cousin sich für ein Mädchen interessiert, dann bestimmt nicht, weil sie eine Sportskanone ist. Außerdem macht sie auf mich keinen besonders athletischen Eindruck. Ich wette, sie schafft es noch nicht mal ins Team.«
Die Türen der Kabinen rechts und links von mir fielen krachend ins Schloss, aber die Tatsache, dass die beiden sich nicht mehr sehen konnten, hinderte sie nicht daran, ihr Gequatsche fortzusetzen. Sie redeten einfach ein bisschen lauter und störten sich nicht im Mindesten daran, dass die Toilette zwischen ihnen besetzt war.
»Hast du gesehen, dass sie eine Seven-Jeans anhat? Die kann sie ja wohl nur aus dem Secondhandladen haben. Ich meine, man muss sich bloß ihre Familie anschauen, um zu wissen, dass die keine Kohle haben. Ihr Vater fährt diesen schrottreifen Pick-up und arbeitet im Zip-Pic, und meine Tante, die in dem Laden als Kassiererin arbeitet, in dem ihre Mom einkaufen geht, hat erzählt, dass sie von allem immer nur das Billigste nimmt. Da fragt man sich doch, warum die Frau nicht auch arbeiten geht, wenn sie so knapp bei Kasse sind.«
»Vielleicht hat sie den Highschool-Abschluss nicht geschafft oder so was.«
»Man braucht doch keinen Schulabschluss, um in Groves eine Arbeit zu finden. Jedenfalls kapier ich nicht, was unser Lover Boy an dieser Valerie findet. Allein schon ihre Haare. Als hätte sich jemand mit der Gartenschere drüber hergemacht.«
»Du kennst doch Larry: Sie ist neu hier und er steht auf Herausforderungen. Sandi hat es ihm schon immer viel zu leicht gemacht. Er weiß genau, dass er nur mit den Fingern schnipsen muss und sie sofort angerannt kommt.«
Links und rechts rauschte die Toilettenspülung, und einen Moment später hörte ich, wie die beiden in den Vorraum gingen, sich dort die Hände wuschen und sich währenddessen weiter über die »arme Sandi« und Larrys »neueste Beute« ausließen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, aus der Kabine herauszukommen und sie damit bloßzustellen, kam dann aber zu dem Schluss, dass ich mir damit nur selbst schaden würde. Es reichte, dass ich die zwölfte Klasse an einer neuen Schule verbringen musste, da sollte ich möglichst nicht auch noch meine zukünftigen Mitschülerinnen gegen mich aufbringen.
Also wartete ich, bis die beiden endlich abgezogen waren, bevor ich mich wieder aus meinem lächerlichen Versteck wagte. Ich war so aufgewühlt von ihren Lästereien, dass mir die Hände zitterten, als ich sie unter den Wasserstrahl hielt. Am liebsten wäre ich hinterhergelaufen und hätte ihnen an den Kopf geschleudert, dass wir keine armen Schlucker waren. Dass wir in Norwood ein wunderschönes großes Haus und zwei neue Autos in der Garage stehen hatten. Dass meine Mutter Schriftstellerin war und mein Vater für eine Fluggesellschaft arbeitete. Dass sie von so einem Leben, wie wir es normalerweise führten, nur träumen konnten!
Aber wenigstens würde ich eine ihrer fiesen Behauptungen widerlegen können – nämlich dass ich es nicht ins Tennisteam schaffen würde. Sollten sie sich doch das Maul über meine Familie zerreißen; wenn sie mich erst einmal spielen sahen, würden sie zugeben müssen, dass sie sich zumindest in dem Punkt gewaltig getäuscht hatten.
Während ich mir die Hände wusch, schaute ich bewusst nicht in den Spiegel. Beim Anblick meiner Haare hätte ich immer noch
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