Schweig um dein Leben
jedes Mal heulen können. Zwar sahen sie mittlerweile nicht mehr ganz so schrecklich aus, weil ich nach unserer Ankunft in Florida beim Friseur gewesen war, aber statt wie Rapunzel sah ich jetzt eher aus wie ein weiblicher Peter Pan.
Ich schüttelte das Wasser von meinen Händen und hielt sie unter den Trockner. Dann fügte ich mich in mein Schicksal und kehrte zu den Vampiren und Larry zurück.
»Wo warst du denn so lange?«, flüsterte er, als ich mich wieder neben ihn setzte. »Du hast ein paar echt gute Szenen verpasst. Bella ist so verliebt in diesen Typen, dass sie auch ein Vampir werden will.«
Unwillkürlich überkam mich ein Schaudern, was Larry prompt falsch interpretierte.
»Hey, du zitterst ja. Die müssen die Klimaanlage voll aufgedreht haben, weil es hier drin vorhin so heiß war.«
»Mir ist nicht kalt«, entgegnete ich, aber da hatte Larry schon wieder seinen Arm um meine Schultern geschlungen und ließ ihn wie ein Bleigewicht dort liegen, bis der Film zu Ende war.
Als wir um kurz nach zehn das Kino verließen, regnete es nicht mehr. Die Straßen und Gehwege waren von glitzernden Riesenpfützen übersät, aber der Himmel war sternenklar und von einer schmalen Mondsichel erleuchtet.
»Vor einer Stunde hat es noch geregnet«, sagte ich überrascht.
»So sind die Sommer in Florida«, sagte Kim. »Keine einzige Wolke am Himmel und ein paar Minuten später schüttet es wie aus Kübeln. Aber genauso schnell hört es auch wieder auf.«
»Ist das denn in Virginia nicht so?«, fragte Abby scheinheilig.
»Wie schon gesagt, ich war noch nie in Virginia«, gab ich zurück.
Ich war froh, dass die Fahrt vom Kino bis zu mir nach Hause so kurz war. Obwohl Larry im Wagen keine weiteren Annäherungsversuche startete, fühlte ich mich extrem unwohl neben ihm auf der Rückbank, so deutlich war es zu spüren, dass sich unsere Beziehung verändert hatte. Aber am meisten machte mir Abby zu schaffen. Ich konnte immer noch nicht fassen, dass ausgerechnet sie Kims Stiefschwester war. Nie hätte ich gedacht, dass es solche unglaublichen Zufälle nicht nur in Filmen, sondern auch im wirklichen Leben gab, und ich schwor mir, Fremden gegenüber in Zukunft noch zurückhaltender zu sein. Abby war der beste Beweis dafür, wie fatal es für mich werden konnte, wenn ich auch nur ein Wort zu viel über mich preisgab.
Als wir in die Lemon Lane bogen, sah ich, dass sich die Straßengräben zu beiden Seiten in reißende Sturzbäche verwandelt hatten, auf denen weiße Schaumkronen tanzten. Kim fuhr vorsichtig unsere Einfahrt entlang, vorbei an den im fahlen Mondlicht geisterhaft wirkenden hohen Büschen, und hielt schließlich vor unserem Haus. Die Scheinwerfer ihres Wagens strahlten unsere Veranda an und durchschnitten die Dunkelheit wie zwei beleuchtete Pfade.
»Bleib ruhig sitzen«, sagte ich zu Larry, als er Anstalten machte, mit mir auszusteigen. »Die paar Meter schaffe ich auch allein. Danke, dass du mich ins Kino eingeladen hast, und vielen Dank, Kim, fürs Fahren.«
»Schön, dass du mitgekommen bist«, entgegnete Kim lächelnd. »Wir können das ja bald mal wiederholen, wenn du Lust hast. Abby kann von Kino nicht genug bekommen, wir schauen uns also bestimmt noch einige Filme an.«
Als ich die Wagentür öffnete und die Innenbeleuchtung anging, drehte Abby sich in ihrem Sitz zu mir um und musterte mich mit einem lauernden Ausdruck in ihren zusammengekniffenen blauen Augen.
»Die einzigen Filme, die hier im Kino laufen, sind so alt, dass sie schon längst auf DVD rausgekommen sind«, sagte sie abfällig, und mir fiel auf, dass sie so ziemlich denselben Wortlaut benutzte wie schon im Flugzeug. »Aber das weiß April – sorry, ich meine natürlich Valerie – ja schon.«
»Das weiß jeder hier«, sagte Larry genervt. »Aber für uns ist es normal, dass es eben ein bisschen länger dauert, bis die Filme es in unser Kino schaffen.« Er sah mich an. »Hast du Lust, morgen an den Strand zu gehen?«
»Lust schon, aber meine Eltern wollen an den Wochenenden immer etwas mit der ganzen Familie unternehmen. Ein anderes Mal gern«, entschied ich mich für eine diplomatische Antwort. Sosehr mir seine Annäherungsversuche zuwider waren, ich wollte es mir nicht komplett mit ihm verderben, dafür war mir unser morgendliches Tennistraining zu wichtig geworden.
»Vielleicht machen sie ja mal eine Ausnahme.« Er grinste selbstbewusst. »Sag ihnen einfach, dass dein Leben davon abhängt, mich zu sehen. Ich ruf dich morgen Vormittag
Weitere Kostenlose Bücher