Schweigende Mauern: Historischer Kriminalroman aus Trier (German Edition)
etwas wegen des vertauschten Tuchs unternehmen?«, wollte Nikolaus wissen.
»Ohne Beweise? Das Grabtuch ist bereits zu bekannt. Wir können es nicht mehr so ohne Weiteres verschwinden lassen. Und falls die Priester in Saint-Hippolyte den Tausch bereits bemerkt haben, werden sie lieber schweigen als den Erben des Geoffroy de Charny 37 erklären zu müssen, wieso ihr wertvollster Schatz jetzt nur noch eine Kopie ist.«
»Oder die Kopie einer Fälschung«, warf Nikolaus ein.
»Sì. Auch das ist mir bewusst. Der Heilige Stuhl wird das Grabtuch nie als Reliquie akzeptieren. Ich werde einen internen Bericht darüber schreiben, der natürlich geheim bleiben muss. Aber alle Päpste, die noch folgen werden, werden es lesen können und sich hüten, einen schweren Fehler zu begehen.«
»Also werden alle lieber schweigen, als den Menschen erklären zu müssen, dass sie betrogen werden.«
Die Freunde saßen eine ganze Zeit schweigend im Garten und hörten den nächtlichen Geräuschen zu: den zirpenden Grillen, den raschelnden Mäuschen im Laub unter den Bäumen und der schaurig rufenden Eule. Im Garten herrschte eine herrlich entspannende und friedliche Atmosphäre. Nichts erinnerte mehr an die mörderischen Verbrechen von vor zwei Wochen.
Giuliano fragte plötzlich: »Und wenn die Väter, ich meine dieser Junk oder sein Kollege Buschfeld, etwas vom Tuch erzählen?«
»Dann geben sie offen zu, dass sie von den Schandtaten gewusst haben, aber nichts unternommen haben, weil es um die eigenen Söhne ging. Das riskieren sie nicht.«
Der italienische Freund grübelte einen Moment und begann dann seine Zusammenfassung. »Wenn ich recht verstanden habe, wollten Junk und seine Söhne in Saint-Hippolyte das Grabtuch kaufen, wurden aber abgewiesen. Die Burschen gingen nach Venedig und engagierten Vittorio. Der machte eine Kopie und vertauschte die Tücher. Die Söhne von Junk sprachen Albrecht an, damit er das gestohlene Tuch bei den Arbeiten im Turm verstecken sollte. Der aber ging zum Vater und erpresste Junk. Wenn Albrecht das Tuch, das Zeugnis einer schändlichen Tat, vernichtete, bekäme er als Gegenleistung Helena und würde Zunftmeister. Junk stimmte zu. Wegen der Hochzeit waren die Söhne wütend, mussten aber stillhalten, weil sie Albrecht brauchten. Der lockte sie in den Turm Jerusalem und tötete sie, weil sie ihn bestimmt ermordet hätten, wenn er ihren wertvollen Schatz tatsächlich vernichtet hätte. Doch dann wurde Albrecht klar, dass Junk wiederum ihn ermorden lassen würde, aus Rache für den Tod seiner Söhne und ihres Freundes. Die ganze Sache war völlig aus dem Ruder gelaufen, ihm über den Kopf gewachsen. Den einzigen Ausweg sah er darin, sich selbst das Leben zu nehmen. Seinen Selbstmord kündigte er bei Junk an. Der versuchte ihn aufzuhalten, um wenigstens zu erfahren, wo die Leichen der Söhne versteckt waren, kam aber zu spät. Junk wollte keine Nachforschungen haben, weil sonst alles ans Tageslicht gekommen wäre, und behauptete, es wäre ein Unfall. Ein Bursche wurde erwischt, weil die Bande ihr Alltagsgeschäft – Erpressen und Rauben – nicht ruhen ließ. Ein Verräter wurde noch schnell ermordet, bevor schließlich alle Söhne im Kerker saßen. Vittorio wollte nicht riskieren, dass sie unter Folter den Plan verrieten, und ließ sie vergiften. Nebenbei wurde noch ein Unbeteiligter schwer verletzt. Habe ich jetzt alles?«
»Ja.«
»Dann gibt es in dieser Geschichte also nur Verlierer?«
Nikolaus wehrte energisch ab. »Oh, nein. Gestern haben Helena und Adam Grimbach geheiratet.«
»Dann hat es wenigstens für sie ein glückliches Ende gegeben.«
»Theodor Junk und seine Söhne Konstantin und Crispus hatten das Ziel vor Augen, Trier wieder groß und bedeutend zu machen. Sie steckten ihre ganze Kraft hinein. Doch es endete für sie im Unglück. Treffend heißt es im Buch der Sprüche:
Es gibt einen Weg, der vor einem Mann gerade ist, aber sein Ende sind danach die Wege des Todes
.«
Giuliano und Nikolaus genossen noch einen Moment schweigend die laue Sommernacht, ehe sie sich in ihre Schlafgemächer zurückzogen. Ihnen war klar geworden, dass in Trier nur eines nie sterben würde: die Erinnerung an die Zeit, als Konstantin der Große hier residierte.
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