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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dokumentieren.«
    »Demnach funktionierten eure Verbindungen ins Ausland besser als allgemein angenommen.«
    »Dafür wurden Leute wie ich ausgebildet.« Sie schloss für einen Augenblick die Augen, sog tief die frische Waldluft ein und fuhr fort. »Der Lastwagen mit diesen Dokumenten war in den letzten Tagen des Mfs fahrbereit gemacht worden. Als sich die politischen Ereignisse von heute auf morgen überschlugen, blieb der Wagen stehen. Nicht eine einzige der Akten, die er geladen hatte, wurde verbrannt. Fenn und ich stießen durch Zufall darauf und konnten Nawatzkis Leuten zuvorkommen. Gemeinsam mit einigen anderen gelang es uns, den Lastwagen samt seiner Ladung verschwinden zu lassen. Seitdem jagt das Netz uns mit all seiner Macht, unterstützt vom BND.«
    »Und diese Aktenbände lagern jetzt hier im Turm? Unter der Falltür?« Eigentlich hatte Fenn ihm bereits die Antwort darauf gegeben.
    Sandra nickte.
    »Ich schätze, es hat keinen Sinn, euch zur Aufgabe überreden zu wollen.«
    Sie runzelte die Stirn. »Falls du das ernst meinst, hast du nichts von alldem begriffen.«
    Er gab keine Antwort und wich ihrem Blick aus.
    Eine Weile lang schwiegen sie, dann meinte Sandra: »Komm, gehen wir zurück zu den anderen.«
    Sie standen auf und überquerten den Streifen Ödland, der den Turm als grauer Halbkreis umgab. Als sie die Tür erreichten, zog Sandra ihre Pistole.
    »Du solltest lernen, wie man mit so etwas umgeht«, sagte sie und wog die Waffe in der Hand.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich fasse so ein Ding nicht an.«
    »Wegen der Sache mit dem Mädchen in Heidelberg?«
    »Du weißt davon?«
    »Ich habe ein paar deiner Briefe gelesen, auch wenn ich sie nicht selbst beantworten konnte.«
    »Dann solltest du das verstehen. Es war meine Schuld, was mit diesem Kind passiert ist. Einmal reicht.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Irgendwann wirst du diesen Entschluss bereuen.«
    »Mag sein.«
    »Überleg es dir. Dieses Ding könnte dir und deiner kleinen Freundin das Leben retten.«
    Als hätte sie nur auf das Stichwort gewartet, stand Nina plötzlich neben ihr im Türrahmen. Keiner von beiden hatte gehört, wie sie näher gekommen war. »Die kleine Freundin passt ganz gut selbst auf sich auf.«
    Sandra hob die Schultern. »Ganz wie ihr wollt«, sagte sie, warf Nina einen grimmigen Blick zu und drängte sich an ihr vorbei ins Innere des Turms.
    Drei Tage lang saßen sie im Halbdunkel, spielten Karten, schmiedeten verrückte Pläne für die Zukunft und kämpften mit den Beschränkungen ihrer Behausung. Fenn hatte sie angewiesen, den Wachturm nur zu verlassen, wenn sie ihre Notdurft verrichten mussten. Er fürchtete, dass ein Hubschrauber sie entdecken und den falschen Stellen Bericht erstatten könnte.
    Es gab keinen Strom, außer den aus mitgebrachten Batterien, und ihr Wasser bezogen sie aus großen Kanistern, die Fenn und seine Leute bereits vor einigen Wochen hierhergeschafft hatten. Es war warm und schmeckte abgestanden; Carsten war überrascht, wie schnell er sich daran gewöhnte. Sie begannen von ihrem Aufenthalt im Turm als Ferienlager zu sprechen, und das Wort bürgerte sich so schnell in ihren täglichen Sprachgebrauch ein, bis es seinen sarkastischen Unterton verloren hatte.
    Am vierten Tag stellten sie fest, dass ihr gesamter Brotvorrat verschimmelt war. Nicht, dass einer von ihnen dem alten steinharten Brot nachtrauerte; problematisch war allein, dass es den Großteil ihrer täglichen Nahrung ausgemacht hatte. Fenn erklärte, sie müssten fortan wohl oder übel mit den mageren Rationen aus Hartkeksen auskommen.
    Am fünften Tag, nach Einbruch der Dämmerung, wechselten sie die Nummernschilder des gestohlenen VW-Transporters gegen ein paar gefälschte aus, die Fenn aus einer der Kisten zog wie ein Bühnenmagier Kaninchen aus dem Zylinder. Getarnt als Pärchen auf Harzrundfahrt machten er und Sandra sich auf den Weg ins nächste Dorf. Ihre Gesichter verbargen sie unter Kappen und Brillen, die Waffen unter Windjacken. Fenn wollte telefonisch einige seiner alten Kontakte reaktivieren, die ihnen bei der anstehenden Flucht ins Ausland behilflich sein sollten.
    Am sechsten Tag kehrten die beiden zurück und erklärten, möglicherweise sei einiges schiefgelaufen. Einer ihrer Kontaktleute habe seltsame Bemerkungen gemacht. Eventuell habe er sie warnen wollen.
    Am siebten Tag erhielten sie die Bestätigung.

Kapitel 5
    Niklas ist tot.
    Seit einer Woche, seit ihrer Flucht aus den brennenden Ruinen des Klosters schwirrte der

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