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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz
Autoren: Kai Meyer
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Malereien alter Meister. Es waren Originale; die meisten Besucher hielten sie für perfekte Kopien.
    »Worthmann geht«, sagte von Heiden.
    Nawatzkis Blick hellte sich auf. »Wann?«
    »Gleich am Montag.«
    »Werden Sie es dem Verleger mitteilen?«
    »Warum nicht? Für ihn ist er ein neuer Mitarbeiter wie jeder andere. Sein Name wird irgendwo inmitten einer langen Liste auftauchen, mehr nicht.«
    Nawatzki nickte. »Was ist mit der Wohnung?«
    »Ich glaube, das war der einzige Punkt, der ihm nicht passte. Aber er nimmt sie. Ich hab ihm eine Menge Unsinn erzählt. Unter anderem, dass er sich auf Verlagskosten selbst eine andere suchen könnte.«
    »Wir werden dafür sorgen, dass er keine findet.«
    »Sicher.«
    »Und der Wagen?«
    »Darum soll man sich vor Ort kümmern.«
    »Haben Ihre Leute mittlerweile herausgefunden, ob er eine Freundin hat? Oder einen Freund?«
    »Worthmann ist heterosexuell.« Von Heiden lächelte bescheiden. »Ein Schwuler in der Firma reicht aus, meinen Sie nicht?«
    Der Blick aus Nawatzkis dunklen Augen traf ihn mitten ins Hirn. »Es interessiert mich nicht, in was er seinen Schwanz steckt. Ich will wissen, zu wem es gehört.«
    Von Heiden stutzte. Nawatzkis Vulgarität überraschte ihn. Andererseits wusste er, dass das Aussehen eines Asketen nicht unbedingt dessen Gesinnung mit sich brachte. Schon gar nicht im Fall Albrecht Nawatzki; von Heidens Leute hatten ein paar interessante Geschichten über ihn ausgegraben. Er hoffte bei Gott, dass Nawatzki niemals herausfand, dass er in seinem Privatleben schnüffelte.
    »Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, wir haben herumgehört. Es sieht aus, als sei er solo. Seit geraumer Zeit schon. Die einzige Frau in seinem Leben ist seine Vermieterin. Sie ist über sechzig. Wir sind sicher, dass die beiden nichts miteinander haben.«
    Nawatzki nickte zufrieden. »Gibt es sonst irgendetwas, das sich seit der Untersuchung vor fünf Jahren verändert hat?«
    »Damals war er fest angestellt. Redakteur im ersten Jahr.« Von Heiden grinste. »Das ist er jetzt wieder. Seine Mutter ist vor viereinhalb Jahren gestorben, der Vater war damals bereits tot.«
    »Todesursache?«
    »Sein Vater hatte einen Autounfall, das steht in der Akte. Die Mutter starb an einer Krankheit.«
    »An welcher?«
    »Meine Leute sagen, nichts Ungewöhnliches. Krebs, vielleicht.«
    »Kein vielleicht. Ich möchte Details.«
    Von Heiden schluckte die Rüge mit ausdrucksloser Miene. »Bekommen Sie. Ich werde die Krankheit in Erfahrung bringen lassen. Auf jeden Fall musste er das Haus seiner Eltern verkaufen, um für die Geschichte in Heidelberg aufzukommen. Ist kaum was von übrig geblieben. Den Rest hat er während der letzten zwanzig Monate für Wohnen, Essen und Trinken verwandt. Ein ausschweifendes Leben kann er sich damit nicht geleistet haben. Seine Ersparnisse sind so gut wie aufgebraucht.«
    »Hätten wir das vor ein paar Tagen gewusst, wäre uns die Sorge betreffs seiner Zusage erspart geblieben. Es hätte ausgereicht, sein Gehalt zu verdoppeln. Er hätte sofort angenommen.«
    Von Heiden zuckte mit den Schultern. »Es hätte ihn misstrauisch gemacht.«
    »Weitere Neuigkeiten?«
    »Noch keine. Wir arbeiten daran.«
    »Gut. Warten wir ab, wie er sich im Osten einlebt. Ich hoffe sehr, dass die ganze Angelegenheit möglichst schnell über die Bühne geht.«
    »Darauf haben wir keinen Einfluss. Entweder es funktioniert oder …«
    »… oder wir haben Probleme«, führte Nawatzki den Satz zu Ende. »So lange werden wir weitermachen wie bisher. Vielleicht beschleunigt das die Sache.«
    »Ist das nötig?«
    »Haben Sie einen besseren Vorschlag?«
    »Nein.«
    Nawatzki runzelte die Stirn. »Ich werde unseren Leuten Bescheid geben, damit sie sich in Bereitschaft halten.«
    Von Heiden nickte und ging zur Tür.
    »Noch etwas«, sagte Nawatzki in seinem Rücken. »Bislang scheint es recht gut zu laufen.«
    »Danke.«
    »Nach dem Fiasko in Budapest können Sie ein wenig Erfolg gut gebrauchen.«
    Von Heiden sah ihn einen Augenblick schweigend an, dann drehte er sich endgültig um und verließ das Büro.

Kapitel 5
    Er sah nicht aus wie ein Schuldirektor, und gerade deshalb mochten ihn die Kinder. Er trug mit Vorliebe Jeans, bunte Baumwollhemden und gelegentlich eine Baseball-Kappe. Seine älteste Tochter hatte sie ihm von einer ihrer letzten Sprachreisen aus Boston mitgebracht. Hin und wieder, bei besonderen Anlässen oder wenn ihm einfach danach war, zog er ein Sakko über; bei ganz besonderen Anlässen
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