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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sprössling am Weihnachtsabend beobachtet. »Ich hab mir gedacht, dass es Sie interessiert. Welcher der Journalisten von damals hätte wohl gedacht, dass seine Texte die Zeit auf diese Weise überdauern?«
    Carsten nickte beeindruckt. Für einen Moment vergaß er die feuchte Dunkelheit des Kellerlabyrinths und versank ganz in der Faszination der endlosen Zeichenkolonnen.
    Nach einer Weile sagte Michaelis: »Lassen Sie uns wieder nach oben gehen, es wird kühl.«
    Carsten löste sich mit einem letzten Blick von dem unwirklichen Wandschmuck. Schweigend folgte er Michaelis die Treppe hinauf und entlang der Zellen zu den Stufen ins Erdgeschoss.
    »Darf ich Sie noch etwas fragen?«, bat Michaelis auf dem Weg nach oben.
    »Natürlich.«
    »Warum sind Sie wirklich hierhergekommen?«
    Carsten zögerte. Es gab zwei Gründe. Heidelberg vergessen und …
    »Sandra«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    »Ein Wiedersehen«, erklärte er vage. »Mit einer alten Freundin.«
    »Erzählen Sie mir von ihr?«
    Carsten schüttelte den Kopf. »Ein andermal.«
    Michaelis nickte in der Finsternis. »Hier – oder im Westen?«
    Eine Weile lang gab Carsten keine Antwort.
    »Hier, glaube ich«, sagte er dann.
    Freitagmorgens fuhr Carsten zum dritten Mal hinauf in die Frankfurter Verlagsetagen. Martin war nicht in seinem Büro, und es dauerte eine Weile, bis eine Sekretärin herausbekam, dass er sich in einer Besprechung befand. Wenn Carsten wolle, könne er jedoch gerne im Büro auf ihn warten. Das tat er, setzte sich in Martins Schreibtischsessel und blickte hinaus auf die Betonmonumente der Innenstadt.
    Zwanzig Minuten später stürmte sein Freund zur Tür herein.
    »Sag nicht hallo oder solchen Unsinn«, rief er, »sondern erzähl mir, wies gelaufen ist.«
    Carsten grinste. »Fein.«
    »Fein?« Martin sah ihn mit großen Augen an. »Und? Weiter?«
    »Ich denke, ich werde zusagen.«
    Martin schlug die Hände zusammen, sah hinauf zur Zimmerdecke und improvisierte ein stilles Gebet. »Du bist doch noch zur Vernunft gekommen. Keine Sekunde hab ich daran gezweifelt«, sagte er schließlich.
    »Freut mich für dich.« Carsten wollte aufstehen, doch Martin hielt ihn zurück.
    »Bleib sitzen«, sagte er und ließ sich in den Besuchersessel fallen. »Weiß von Heiden es schon?«
    »Nein, ich dachte mir, ich komme erst zu dir.«
    »Du musst sofort zu ihm.«
    »Kein Grund zur Eile.«
    Martin lehnte sich erschöpft zurück und stöhnte. »Kein Grund? Er und Nawatzki haben auf Knien gelegen, damit ich dich überrede, den Job anzunehmen.«
    »Red keinen Unsinn.«
    »Kein Unsinn. Sie wollen dich, verstehst du.«
    Carsten lächelte. »Ich dachte immer, nur du willst mich.«
    Martin kicherte. »Ich bin zwar schwul, aber monogam. Der perfekte Ehemann. Ich bringe eine Menge Schotter nach Hause, kann kochen und erfülle die sexuellen Wünsche meines Partners. Ich bin ausgelastet.«
    Jetzt lachten beide.
    »Soll ich mit raufkommen?«, fragte Martin.
    »Ich schätze, das schaffe ich allein.«
    Martin nickte. »Tut mir leid. Sicher schaffst du das. Bist ein großer Junge geworden.«
    Carsten stand auf. »Du kannst mich mal besuchen.«
    »Im Osten?« Martin schüttelte grinsend den Kopf. »Bin ich verrückt? Ich werde den Teufel tun, mich von hier fortzubewegen.«
    »Verräter.« Erneutes Lachen.
    Sie schüttelten sich die Hände, und Carsten ging.
    Er fuhr nach oben. Hinauf in die Achtundzwanzigste.
    Eine Überraschung: Von Heiden war in seinem Büro und hatte sofort Zeit für ihn.
    »Schön, dass Sie gleich vorbeikommen«, sagte er und wies ihm mit einer Handbewegung einen Besuchersessel zu. Sein Schatten Nawatzki war nirgends zu sehen.
    Der Verlagsleiter lächelte. »Ich hatte erwartet, Sie würden mit Ihrer Entscheidung bis übers Wochenende warten.«
    »Ich dachte, es sei nur fair, Sie gleich zu informieren.«
    »Das gefällt mir.«
    Von Heiden schien ehrlich gespannt zu sein. Er war zu abgebrüht, es offen zu zeigen; und doch hatte Carsten das Gefühl, dass da eine Spur von Nervosität war. Kleine Zeichen verrieten ihn: die Art, in der er seine Ellbogen auf die Armlehnen stützte und die Finger vor dem Gesicht verschränkte; das funkelnde Glimmen in seinem Blick; die lange Pause, die er nach seinem letzten Satz machte, so, als erwartete er, dass Carsten gleich mit der Neuigkeit herausplatzte.
    »Ich will Sie nicht auf die Folter spannen«, sagte er. Von Heiden schluckte den Treffer, ohne mit der Wimper zu zucken. Carsten wusste, dass er sich den kleinen Hieb

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