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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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uns allen.«
    »Könnten Sie sich ein einziges Mal klarer ausdrücken?«
    Fenn schüttelte den Kopf. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Haben Sie Geduld, Sie werden sie treffen. Später. Und nun halte ich es für günstiger, Ihnen ein wenig mehr über die Hintergründe unseres Dramas zu erzählen.«
    Carsten nickte und sagte nichts mehr.
    »Vielleicht sollte ich Sie erst über Michaelis, von Heiden und Nawatzki aufklären«, meinte Fenn.
    »Nawatzki und von Heiden? Die gehören auch dazu?« Als hätte er es nicht längst geahnt.
    »Aber sicher. Haben Sie jemals den Begriff Gladio oder Schweigenetz gehört?«
    Erst vor ein paar Tagen. Aber das sagte Carsten nicht. Stattdessen nickte er stumm. »Nun, dann wissen Sie, dass das Netz eine perfekt trainierte Gruppe von Partisanen war, die hinter den Linien des Feindes einen Guerillakrieg anzetteln sollte. Hinter unseren Linien, fürchte ich«, sagte Fenn amüsiert. Rückblickend schien ihn der Gedanke zu erheitern. »1991 wurde das Schweigenetz offiziell aufgelöst, von der Regierung und vom Bundesnachrichtendienst. Die Mitglieder waren zum allergrößten Teil Zivilisten, die im normalen Leben einer geregelten Arbeit nachgingen. Daher stellte sich nicht das Problem, diese Männer und Frauen anderweitig unterbringen zu müssen. Theoretisch hätte man einfach die entsprechenden Akten zuklappen müssen, und die ganze Sache wäre ausgestanden gewesen.
    Allerdings, und das entbehrt nicht einer gewissen Logik, kam man beim BND schnell zu der Ansicht, dass es ein großer Fehler sei, ein solches Potenzial brachliegen zu lassen. Was die offene und geheime Kriegsführung anging, fehlte es an ausgebildetem Personal. Sie müssen bedenken, dass das Schweigenetz viel mehr war als eine bessere Reservistentruppe. Diese Leute waren Spezialisten in jeder Form des Tötens, des Taktieren und Sabotierens, geschult von den Ausbildern der GSG 9 und anderer Spezialeinheiten. Alle mit einem technischen und geisteswissenschaftlichen Hintergrund. Und, was ganz wichtig war, politisch auf der korrekten Linie. Diese Leute würden für ihr Land alles tun.«
    Carsten hörte gespannt zu. Er wagte nicht, Fenns Redefluss durch Fragen zu unterbrechen.
    »Natürlich kam es, wie es kommen musste. Das Netz wurde zwar offiziell aufgelöst, aber man bemühte sich, einen Großteil seiner Mitglieder weiterhin bei der Stange zu halten. Allerdings nicht mehr unter dem Deckmantel des Bundesnachrichtendienstes. Schließlich stand hier die Glaubwürdigkeit einer gesamten Regierung auf dem Spiel. Also beschloss man, das Schweigenetz zu einer privaten Organisation umzustrukturieren, völlig losgelöst von allem Staatlichen. Das alles war natürlich streng geheim. Mit Sicherheit hat nur ein ganz kleiner Kreis von Personen von dieser Umwandlung erfahren.«
    Er machte eine kurze Pause und holte tief Luft. »Erinnern Sie sich, dass zwar alle Medien über die Entdeckung von Gladio berichteten, kein Einziger aber über die Auflösung? Auf den ersten Blick erscheint das unlogisch, denn das Netz wurde ja aufgelöst, zumindest offiziell. Trotzdem hielt man diese Auflösung weitestgehend geheim und platzierte lediglich ein paar wohldosierte Mehrzeiler in den Meldungsspalten einiger Zeitungen – damit man später nicht der Geheimnistuerei beschuldigt werden konnte.
    Der eigentliche Grund für diese Verschleierungstaktik war der, dass man unangenehmen Fragen der Netz-Mitglieder ausweichen wollte. Für sie sollte es aussehen, als habe sich nichts geändert. Sie fahren immer noch regelmäßig in ihre geheimen Trainingscamps, bekommen ihre Order von denselben Vorgesetzten. Nur mit dem Unterschied, dass diese Vorgesetzten keine Staatsdiener mehr sind, sondern auf mehr oder minder eigene Faust handeln.« Er grinste. »Der ganze Vorgang ist den Privatisierungen in der ehemaligen DDR gar nicht unähnlich.«
    Carsten begann zu begreifen. »Und Michaelis ist einer dieser Vorgesetzten? Ein ehemaliger Gladio-Chef, der heute noch über eine Art Privatarmee verfügt?«
    »Michaelis ist nur ein kleines Licht«, erwiderte Fenn. »Er ist nicht mehr als ein Rädchen im Getriebe der Organisation, der eigentliche Mann im Hintergrund ist ein anderer: Nawatzki leitet und koordiniert alle Schritte in diesem Teil des Netzes. Und von seiner Sorte gibt es noch andere, Männer und Frauen in Spitzenpositionen der Industrie, den Medien und so weiter. Ehemalige Offiziere des Netzes, die heute die Geschicke der Republik leiten. Obwohl auch hinter ihnen

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