Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
einfach so ziehen lassen?« Der Alte schüttelte mitleidig den Kopf. »Die kennen jeden Ihrer Schritte. Jede Bewegung. Jedes Wort.«
    Carsten warf einen zweifelnden Blick auf die Armaturen. Der Tempozeiger zitterte knapp über der Fünfzig. »Und Sie glauben, dass dies der geeignete Wagen ist, um sie abzuschütteln?«
    »Es gibt keinen besseren«, bestätigte Viktor überzeugt.
    Sie fuhren durch den Schlagschatten des Hotels Merkur, bogen in Richtung Oper und nahmen schließlich eine Abzweigung ins Straßengewirr der Innenstadt. Carsten sah sich um.
    Viktor riss ihn zornig herum. »Sind Sie wahnsinnig geworden?«, zischte er. »Wenn die merken, dass wir über sie Bescheid wissen, können wir gleich anhalten. Bleiben Sie ruhig sitzen, und tun Sie gefälligst ein einziges Mal, was ich Ihnen sage!«
    Carsten spürte, wie sich seine Nervosität mit Zorn vermischte. Warum konnte Viktor ihm nicht sagen, wohin er ihn brachte? Weshalb schwieg er beharrlich auf alle Fragen, die er bezüglich Sandras stellte?
    »Welcher Wagen ist es?«, fragte er und blickte starr nach vorne. Viktor sah erneut in den Rückspiegel. »Ein dunkelblauer Kadett. Sie sind noch zwei Autos von uns entfernt.«
    »Schon seit Tiefental?«
    »Nein, erst seit Halle. Vorher war es ein anderer.«
    »Wie haben sie das gemacht? Ich meine, wie sind die vor uns in Halle angekommen?«
    »Lieber Himmel, Sie sind wirklich naiv. Die haben dort gewartet, auf Abruf. Der schnellste Weg nach Leipzig führt durch Halle, deshalb hat man sie bereits früher dort stationiert. Ich nehme an, sie stehen in Funkkontakt.«
    Carsten schwieg einen Augenblick. Dann fragte er: »Was hätten Sie getan, wenn ich Sie in der Redaktion nach dem Namen der Galerie gefragt hätte?«
    Viktor lächelte nervös. »Ich habe gebetet, dass Sie das nicht tun würden. Zur Not hätte ich einen erfunden. Ich glaube nicht, dass Michaelis es sofort bemerkt hätte.«
    »Dann steckt wirklich Michaelis dahinter?«
    Der Maler schüttelte ungehalten den Kopf. »Zum letzten Mal: Warten Sie ab!«
    »Wie wollen Sie sie abhängen?«
    »Lassen Sie das meine Sorge sein.«
    »Warum verstellen Ihre Leute denen nicht einfach den Weg?«, fragte er. »Ich meine, unauffällig, mit einem Lastwagen oder so etwas? Wie im Film.«
    »Weil es keine Leute gibt, mein Junge.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Sie allein sind?«
    »Herr im Himmel, wann werden Sie endlich still sein?«, fluchte Viktor. »Sparen Sie sich Ihre Fragerei für später auf. Aber verschonen Sie um Himmels willen einen alten Mann damit!«
    Carsten verstummte und verlegte sich aufs Beobachten. Er hoffte inständig, dass der Maler wusste, was er tat. Er dachte an Nina, die im Büro in Tiefental saß, nur wenige Schritte von Michaelis entfernt. Mit einem Mal hatte er schreckliche Angst um sie.
    »Was geschieht, wenn wir sie nicht loswerden?«, fragte er nach einigen Minuten.
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, empfahl Viktor. »Ich würde liebend gerne versuchen, sie ein wenig schneller abzuhängen, aber das ist unmöglich. Sie würden Verdacht schöpfen. Schließlich müssen wir dafür sorgen, dass Sie noch gefahrlos nach Tiefental zurückkehren können. Nein, wenn sie uns verlieren, dann muss es wie zufällig geschehen.« Er grinste. »Ehrlich gesagt, sind sie bereits auf dem besten Wege dorthin. Sie liegen jetzt schon vier Autos zurück. Haben Sie noch einen Augenblick Geduld, dann ist es vorbei.«
    Keine zehn Minuten später sagte Viktor: »Wir sind sie los.«
    Carsten war nicht überzeugt. »So einfach?«
    Der Maler zuckte mit den Schultern. »Hoffen wir das Beste.«
    »Warum sind Sie so sicher, dass hier in Leipzig nicht weitere ihrer Wagen gewartet haben, die unsere Spur aufnehmen?«
    Viktor lachte. »Das werden sie, zweifellos. Aber es wird eine Weile dauern. Wir müssen uns beeilen.«
    Er lenkte den Trabant aus dem Labyrinth der Innenstadt hinaus auf geräumigere Straßen. Sie folgten einer breiten Allee, als Viktor plötzlich nach rechts deutete.
    »Was halten Sie davon?«, fragte er.
    Carsten folgte seinem Blick. Die Baumreihen wichen auf dieser Seite einem riesigen Parkplatz. Hier und da liefen Menschen umher wie Arbeiterinnen eines Ameisenschwarms. Ein Busfahrer lehnte an seinem Fahrzeug und wartete auf die Rückkehr einer Reisegruppe. Auf der anderen Seite führten Treppen auf eine gewaltige Plattform. Weit, weit dahinter erhob sich ein mächtiger Monumentalbau.
    »Das Völkerschlachtdenkmal«, sagte Viktor.
    Carsten hatte davon gehört, es aber

Weitere Kostenlose Bücher