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Schweigenetz

Titel: Schweigenetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Deshalb Michaelis' Verständnis dafür, dass er so oft nach Leipzig fuhr. Und deshalb auch die Leiche Sven Kirchhoffs fast direkt vor seiner Haustür. Sein Interesse an Sandra sollte neuen Antrieb bekommen. Neuen Zündstoff.
    Fenn ergriff wieder das Wort: »Im Grunde hat Nawatzki mit diesem Treffen erreicht, was er wollte. Der Kontakt ist hergestellt. Aber uns blieb keine andere Wahl.«
    Carsten sah ihn misstrauisch an. »Aber wäre es aus Ihrer Sicht nicht einfacher gewesen, mich sofort zu beseitigen?«
    Fenn grinste. Es wirkte nicht unfreundlich. »Genau das war mein Vorschlag, als uns klar wurde, was Nawatzki mit Ihnen vorhatte.«
    »Sie hätten mich also getötet?«
    »Ohne zu zögern, sicher.«
    »Ist das der Grund, warum Sie mir das alles erzählen? Weil Sie mich ohnehin umbringen werden?«
    »Nein, nicht im Augenblick. Sandra würde mir das niemals verzeihen. Sie hat von Anfang an Partei für Sie ergriffen. Und sie überzeugte mich sogar davon, dass Sie uns noch nützlich sein könnten.«
    »Nützlich für Sie? Inwiefern?«
    Fenn schüttelte den Kopf. »Das erfahren Sie ein andermal. Wir müssen unser Treffen an dieser Stelle leider beenden. Nawatzkis Leute schwärmen durch die Stadt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Sie uns gefunden haben. Außerdem müssen Sie zurück in die Redaktion. Machen Sie weiter wie bisher. Lassen Sie sich nichts anmerken, bis wir uns wieder bei Ihnen melden. Glauben Sie, dass Sie das schaffen?«
    Carsten zögerte. »Ich werde es versuchen.«
    »Sehr gut.« Fenn nickte zufrieden. »Und noch etwas: Gehen Sie nicht zur Polizei. Die werden Sie nicht vor Nawatzkis Männern schützen können. Abgesehen davon bin ich nicht sicher, ob sie es überhaupt versuchen würden.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Später. Vertrauen Sie mir einfach. Das Netz wird Ihnen derzeit noch nichts zuleide tun. Die brauchen Sie noch.« Er deutete zum Treppenhaus. »Jetzt gehen Sie bitte.«
    Carsten rührte sich nicht von der Stelle. Stattdessen fragte er: »Wann werde ich wieder von Ihnen hören? Und wann kann ich Sandra sehen?«
    »Halten Sie sich einfach bereit. Vielleicht morgen, vielleicht erst nächste Woche. Aber wir melden uns bei Ihnen. Und seien Sie inzwischen vorsichtig, wem Sie vertrauen.« Er zeigte erneut auf die Tür. »Beeilen Sie sich.«
    Mit einem Ruck drehte Carsten sich um und ging.
    Er hatte gerade die Treppe erreicht, als Fenn ihm hinterherrief: »Und tun Sie mir einen Gefallen. Denken Sie darüber nach, wer in dieser Sache die Guten und wer die Bösen sind. Ich bin sehr gespannt, zu welchem Ergebnis Sie kommen werden.«

Kapitel 5
    Das Mephisto war Ninas Vorschlag. Der kleine Studentenclub lag am anderen Ende von Tiefental. Es war die einzige Stelle, an der die Stadt das Tal verließ und den Hang eines Hügels erklomm. Die Häuser standen hier wie angeklebt an das steile Gefälle. Einige der schmalen Gassen, die durch das Wirrwarr der alten Bauten schnitten, waren in Form von Treppen angelegt. Das Flair des Viertels erinnerte ein wenig an die malerischen Altstädte der Provence und Toskana, wenn auch die schrägen Fachwerkbauten typisch waren für diese Region. Das Mephisto selbst befand sich im ersten Stock eines Gebäudes, das das Alter vornübergebeugt hatte wie den Rücken einer alten Frau. Die Balken der Fachwerkkonstruktion waren wurmstichig und grau, einige der Fenster in der unteren, leerstehenden Etage zerbrochen. Die Holztreppe, die an der Außenseite hinaufführte, knirschte unter ihren Füßen.
    Normalerweise hatten im Mephisto nur Studenten Zutritt, und an den meisten Tagen war der Club durch ihre privaten Feiern belegt. Herein kamen nur Leute mit schriftlicher Einladung, und der Türsteher, der schon von weitem sichtbar am Ende der Treppe thronte, sah nicht aus, als sei er zu Kompromissen bereit.
    Nina war anderer Ansicht. Sie kenne ihn von früher, erklärte sie vage. Tatsächlich genügten eine Umarmung und ein Kuss auf die Wange, um ihnen die Tür zu öffnen. Der junge Mann schenkte Carsten einen misstrauischen Blick, dann ließ er sie herein.
    »Ist das für alle so einfach?«, fragte Carsten, als sich die Tür hinter ihnen schloss.
    Sie schüttelte nervös den Kopf. »Michaelis kommt hier nicht rein. Es sei denn, seine Leute haben offizielle Einladungen.«
    »Wäre das möglich?«
    Sie ergriff seine Hand und zog ihn ins Gedränge. »Das weißt du wahrscheinlich besser als ich.«
    Der Club bestand aus mehreren Räumen, früher einmal Wohnungen, deren Türen man

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