Schweigfeinstill
Arme streckten sich nach uns aus. Hustend steuerte ich den Alfa über die Schneepiste. Die Hinterräder rutschten immer wieder weg. Dieser Ausflug war eine Schnapsidee. Wir hielten vor Carlos Haus.
»Bleib im Wagen!«, befahl Juliane. Sie kletterte über Schneehaufen und schlitterte den Weg bis zu Carlos Haustür. Sein Haus lag im Dunkeln. Auch sein Auto war nicht zu sehen. Juliane bahnte sich einen Weg um das Grundstück. Ich sah sie um die Terrassenecke verschwinden und stieg ebenfalls aus, die Kapuze meines Anoraks tief in die Stirn gezogen. Mein Hals tat entsetzlich weh. Ich konnte kaum schlucken.
»Juliane?«
Ich musste auf der Rückfahrt an einer Apotheke mit Nachtdienst halten, um Halsbonbons und ein Mittel gegen Grippe zu kaufen. Anschließend würde ich mich mit einer Wärmflasche auf Julianes Sofa einrichten.
»Alles still!«, rief Juliane gegen den Wind, indem sie sich einen Weg zurück zum Auto bahnte. »Was jetzt?«
»Sein Wagen ist weg. Er ist nicht zu Hause. Lass uns heimfahren, Juliane.«
Ihr mitleidsvoller Blick rührte mich. Sie legte kurz ihre Hand auf meinen Arm und sagte: »Na, komm!«
Kurz vor Ohlkirchen trällerte mein Handy.
»Laverde?«, krächzte ich.
»Nero Keller. Frau Laverde, ich habe ein wichtiges Anliegen. Wir hätten hier ein Foto von einem Kontaktmann, könnte eine Spur zu Ihrem Müller sein. Wäre es möglich, dass Sie vorbeikommen und sich das Bild ansehen?«
»Könnten Sie das per Mail schicken?« Ich hustete. Mir fiel ein, dass Juliane nicht einmal einen Computer hatte, und die Vorstellung, in mein verwüstetes Haus zurückkehren zu müssen, fühlte sich auch nicht besonders ermunternd an.
»Das geht. Das heißt, es gibt noch ein zweites Foto. Von dem Komplizen, der mit Kugler im Piranha war. Vielleicht erkennen Sie den auch wieder.«
Ich diktierte ihm meine Mailadresse und wendete den Wagen.
»Spinnst du? Du gehörst ins Bett«, schimpfte Juliane.
»Es dauert nicht lang. Ich muss nur diese Mail ansehen.«
Juliane schrie auf, als ein Schneepflug mit grell blinkendem Warnlicht knapp an uns vorbeirasselte.
64.
Andy steht in dem leeren Haus . Er ist das Alleinsein nicht gewöhnt. Er kann die Stille ertragen, wenn er nur aufstehen und in ein anderes Zimmer gehen muss, wo jemand Hausaufgaben macht oder Marmorkuchen backt. Er zittert. Allmählich dringt der Schmerz aus seinem Hinterkopf in sein Bewusstsein vor. Er tastet seinen Nacken ab und spürt Blut, schon halb geronnen, zwischen seinen Fingern. Erschöpft lässt er sich auf die unterste Treppenstufe sinken und sitzt da, wartet ab. Heute Nacht wird niemand zurückkommen. Nicht Gina und nicht Jenny. Gina wird überhaupt nicht mehr kommen. Ein Anwalt wird einen Brief schreiben, den er nicht lesen kann, aber er wird wissen, was da steht. Andys rechte Hand zittert. Sein Rücken schmerzt von den Verkrampfungen in seiner rechten Seite. Er denkt an den toten Mann mit dem entsetzten Gesicht, dessen Blut er noch klebrig unter seinen Fingern spürt.
Das Telefon klingelt. Erschrocken hebt Andy den Kopf. Als es nicht zu läuten aufhört, zieht er sich am Geländer hoch und tappt ins Wohnzimmer. Nimmt den Apparat und murmelt »Ja«, überwältigt von dem Gefühl, dass seine wenigen Worte ihm wieder gehorchen.
»Ist Jenny da?«, fragt eine unbekannte Stimme.
»Wer?«, fragt Andy. Er will wissen, wer da spricht, aber der andere versteht falsch.
»Jenny!«
»Nein.«
»Wo ist sie?«
»Wer? Hallo?«
»Jenny. Wo ist Jenny denn mitten in der Nacht?«
Andy will auflegen. Er kennt den Kerl nicht, aber seine Sprache entscheidet wie so häufig von selbst. »Sissi Schmidt«, sagt er und starrt noch auf das Telefon in seiner Hand, als der andere längst aufgelegt hat.
65.
Ich bemühte mich redlich, keine Notiz von dem zersplitterten Parkett und dem entzweigeschlagenen Schreibtisch zu nehmen , als ich meinen Laptop an den Router anschloss und hochfuhr. Juliane patrouillierte durchs Haus. Ich hörte sie empört vor sich hinmurmeln.
Zum Glück funktionierte die Elektronik noch, die Eindringlinge waren nicht auf den Trichter gekommen, das Kästchen inklusive Kabel zu zertrümmern. Ich rief meine Mails auf und entdeckte sofort eine datenschwere Nachricht mit Anhang in der Posteingangsbox. ›Mister.jpg‹. Das Foto eines Mannes baute sich vor mir auf. Die Körnung war grob, jemand hatte ihn aus großer Entfernung abgelichtet, aber ich war mir dennoch sicher und tippte Kellers Nummer.
»Keller?«
»Mister ist Müllers Kumpel. Der
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