Schweigfeinstill
Mann, der mich in den Wagen stieß.« Zu genau erinnerte ich mich an sein grinsendes, selbstzufriedenes Gesicht. Er hatte meine Angst gespürt. Ihm war förmlich das Wasser im Mund zusammengelaufen.
»Wissen Sie seinen Namen?«
»Nein.«
»Gut. Nein, nicht gut. Aber immerhin haben wir einen Anhaltspunkt mehr. Was ist mit dem zweiten?«
Ich klickte die Datei ›Lehr.jpg‹ an. Ein Passbild öffnete sich. Ich strengte meine grauen Zellen an. War das der Mann auf Jennys Video? Der Kerl in dem schicken Mantel in Thalkirchen? Hatte ich den im Piranha gesehen?
»Ich weiß nicht«, gab ich zu. »Es kann sein, dass Lehr im Piranha war. Oder auch nicht.«
»Vielleicht hat er sein Aussehen verändert.«
»Vielleicht.«
Keller zögerte. »Sind Sie krank?«
»Hört man das?«
»Wo sind Sie denn!«
»Bei mir zu Hause, wo sonst! Juliane hat nur einen uralten Telefonanschluss mit einer Buchse von Anno Tunichtgut. Und W-LAN hat Ohlkirchen noch nicht gesehen.«
»Bleiben Sie nicht in Ihrem Haus. Bitte, Frau Laverde.«
»Nein, sicher nicht, Herr Kommissar. Wir fahren jetzt zu Juliane und schließen die Tür hinter uns ab. Tschüss.«
Ich legte auf. Ich ahnte noch nicht, dass mir keine Zeit bleiben würde, um Julianes Wohnungstür hinter mir abzusperren.
66.
Markus Freiflug und Nero Keller begleiteten Marietta Soltau durch die gekachelten Gänge . Sie sieht so schmal aus, dachte Nero, als er ihr die Tür in den nächsten Korridor aufhielt. Lars Klar wartete schon. Aus den Augenwinkeln erhaschte Nero einen Blick auf die Zettel an der Tür zur Pathologie. ›Sehr geehrte Bestatter, über die Weihnachtsfeiertage gelten Sondertermine für die Leichenabholung‹.
Valeskas Leiche lag bedeckt auf einem Tisch.
»Danke, dass Sie noch heute Nacht kommen konnten«, sagte Markus Freiflug zu Marietta. »Es ist wirklich wichtig.«
So wichtig, dass wir die Nacht durcharbeiten, überlegte Nero. Warum eigentlich. Nur wegen der berühmten 48 Stunden nach einem Mord? Den zwei Tagen, in denen die unverzichtbaren Dinge getan werden müssen, damit die Spuren und der Täter sich nicht in Luft auflösen? Sein Leben bestand neuerdings aus zu vielen Fragen.
»Sind Sie so weit?«, fragte Klar. Marietta nickte. Der Rechtsmediziner zog das Tuch vom Gesicht der Toten.
Marietta wimmerte. Tränen schossen in ihre Augen. Sie wischte sie weg, hob den Blick, sah der Reihe nach alle drei Männer an und sagte: »Ja. Das ist Valeska.«
Während Klar das Tuch über Valeskas Gesicht breitete, sagte Freiflug: »Kommen Sie. Ich bringe Sie nach Hause.«
Marietta ging ein paar Schritte, mit erhobenem Kopf, und Freiflug berührte sie sacht am Ellenbogen. Plötzlich bäumte Marietta sich auf, fing an zu schreien und auf Freiflug einzuschlagen. Freiflug behielt die Kontrolle. Er fasste Marietta an den Schultern und sprach mit ihr, während er sie nach draußen führte.
»Sie haben sie mit Elektroschocks gefoltert«, sagte Klar, als die Tür hinter Freiflug und Marietta ins Schloss gefallen war. »Der Vibrator hat Stromstöße in ihre Scheide abgegeben. Seltsam, dass sie den haben stecken lassen, als sie von ihr abließen.« Er überreichte Keller eine Tüte. Beim Anblick der Kabel würgte es Nero. »Sonst kann ich nur sagen, dass sie erfroren ist. Allerdings gibt es auch ein paar andere Folterspuren. Striemen am Gesäß, wahrscheinlich durch ein schnalzendes Gummiband verursacht, Abschürfungen an den Hand- und Fußgelenken. Das linke Handgelenk ist angebrochen. Sie wurde gefesselt. Ich schätze, mit Metallspangen. Hat sich gewehrt. Tja.«
Während Klar sprach, dachte Nero an Kea. Komischer Name, überhaupt. Es gab eine neuseeländische Vogelart, die so hieß. Er wünschte, sie wäre schon sicher in der Wohnung ihrer ausgeflippten Freundin. Ganz kurz sah er sie vor sich. Die dunklen Augen, den wippenden Pferdeschwanz. Ihm fiel ein, dass er sich noch nicht darum gekümmert hatte, Karl Schöll ein Foto von Lehr zu zeigen und ihn zu fragen, ob er der zweite Mann neben Kugler am Samstagabend im Piranha gewesen war. Oder hatte Jassmund das machen wollen? Kea Laverdes Bild verschwamm, und die weißen Wände, die Stahltische und die an die Kacheln geklebten Merkzettel drängten sich zurück in seine Wirklichkeit.
67.
Meine Hände zitterten, als ich den Motor abstellte . Kurz lehnte ich meinen Kopf gegen die Kopfstütze.
»Du gehörst ins Bett, Mädchen«, sagte Juliane knapp. »Ich bringe dich rauf, fahre zur Apotheke und besorge dir Medikamente.«
Ich
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