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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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auf die Wäsche. »Ich hasse es, immer draußen zu stehen. Ich habe alles für dich getan, Andy, alles. Dank habe ich nie erwartet. Aber Rücksicht«, Gina flüstert jetzt, »Rücksicht schon.«
    Andy versteht sie nicht. Wieso Rücksicht? Worauf sollte er Rücksicht nehmen? Er ist ein behinderter Volltrottel, so jedenfalls sieht ihn die Außenwelt, und Gina bleibt nur mit ihm zusammen, weil es sich nicht gehört, einen vom Schicksal dermaßen gebeutelten Mann zu verlassen. Das will Andy ihr sagen. Er macht den Mund auf. Wenn er sich nur konzentriert, langsam vorgeht, Schritt für Schritt die Wörter auswählt, sie in eine Reihenfolge bringt und seinem Mund befiehlt, sie auszusprechen – kann er dann nicht doch einen Satz bauen? Du kannst nicht gehen, will er sagen. Du musst mit Jenny sprechen. Es liegt in deiner Hand. Ich kann es nicht tun. Du musst sie fragen, warum sie Pornos auf ihrem Rechner hat. Wo sie die her3hat. Und du musst mit ihr darüber sprechen, wer der Mann ist, der dich massiert hat, und der jetzt tot ist. Sie ist dir nachgegangen. Sie hat dich gefilmt, Gina, sie ist deine Tochter, unsere Tochter, die viel mehr mitmachen und durchhalten muss als ihre Schulfreundinnen. Weil ich ein nichtsnutziger Vater bin, ein stummer, bewegungsloser Sack, der in diesem Haus morsch wird.
    »Ko… koko… ko… li…« Entsetzt presst Andy die Hand auf seine Lippen. Es muss der Stress sein, der ihm auch noch die letzten funktionsfähigen Silben nimmt. »Ko… ki… ko… kokoko!« Mehr kommt nicht. Andy taumelt, spürt den Schrank hinter sich, lehnt sich an, rammt mit plötzlicher Verzweiflung seinen Kopf dagegen, wieder und immer wieder. Das Krachen hört er kaum, bis Gina ihn am Hosenbund packt und wegzieht. Etwas Warmes rieselt in seinen Nacken.

62.
    Das heiße Wasser umspielte meinen Körper . Genießerisch blies ich in den nach Mango duftenden Badeschaum. Die Wut in meinem Bauch verflachte zu einem müden Tier, das sich schließlich zusammenringelte und einschlummerte.
    Der Zorn, der in mir gewütet hatte, bedeutete nur, dass Julianes Worte zutrafen. Für diese Erkenntnis war ich empfindsam genug. Ihre Bemerkung, ich hätte etwas mit den Frauen in Müllers Filmen gemeinsam, hatte mich erschreckt. In der wonnigen Wärme in Julianes Badezimmer wurde mir klar, was sie gemeint hatte. Wer sich Qualen zufügen ließ, war in den Tiefen der eigenen Seele überzeugt, sie verdient zu haben. Es ging nicht nur um Schmerzen aus der Hand anderer. Jeder Mensch entwickelte ein gewisses Talent, sich selbst zu quälen. Wenn ich ehrlich auf die vergangenen zweieinhalb Jahre meines Lebens blickte, konnte ich zugeben, dass ich mich verhärtet und gegen jegliche Zuneigung, die mehr als Freundlichkeit war, abgeschottet hatte. Das Eingeständnis tat mir gut. Die Fesseln, die mein Inneres so viele Monate geknebelt hatten, lockerten sich. Unter Wasser tastete ich nach den Narben. Sie schnürten wie Stricke in die weichen Rundungen meines Körpers und verzogen die Silhouette meiner rechten Seite. Selbst unter Wasser fühlten sie sich hart an. Es wäre schön, nur körperliche Narben zu haben, dachte ich. Die seelischen sah niemand. Ich selbst leugnete sie am effektivsten.
    Es war noch ein Gedanke da, der mich unmittelbar quälte.
    »Juliane?«, rief ich.
    Sie kam herein. Im Dunst des heißen Wassers sah ihre schmale Silhouette gespenstisch aus.
    »Carlo wusste, wo mein Zweitschlüssel versteckt war, Juliane. Er hat die Handwerker reingelassen und nicht abgeschlossen. Nur die Haustür zugezogen.«
    Wir sahen uns eine Weile an. Juliane nahm ein Handtuch vom Heizkörper. Ich kletterte aus der Wanne und ließ zu, dass sie mich einwickelte wie ein Kind.
    »Ich rufe ihn an«, sagte ich, während Juliane mein Haar bürstete. Sie ging, um das Telefon zu holen, einen altmodischen Apparat mit einem meterlangen Kabel. Ich wählte. Es war fast Mitternacht. Carlos Rushhour. Juliane hielt ihr Ohr dicht gegen meines.
    »Carlo hat heute Abend abgesagt«, erklärte Martin, der Kellner im Piranha, gehetzt. »Angeblich ist er krank. Wir mussten in null Komma nix Ersatz herkriegen.«
    Juliane und ich sahen einander an.
    »Ich fahre zu Carlo«, sagte ich schließlich, obwohl ich mich fühlte, als wäre ein warmes Bett der einzige angemessene Aufenthaltsort für mich.
    »Ich komme mit«, bestimmte Juliane.

63.
    Das Sträßchen nach Seelbach war nicht geräumt . Die Sträucher und Bäume am Straßenrand ächzten unter ihrer Schneelast. Schwer beladene weiße

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