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Schweigfeinstill

Schweigfeinstill

Titel: Schweigfeinstill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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dem Pornokram zu tun haben, gingen allesamt auf gestohlene Handys.« Er überlegte. »Ich habe mal gehört, es gibt Freaks, die in der U-Bahn dem Nachbarn das Handy aus der Tasche ziehen, damit telefonieren und es zurückstecken, ohne dass es jemand bemerkt. Krass.«
    Nero verstand, dass der Kollege seine Beklemmung abschütteln wollte. Sie stiegen ins Auto.
    »Wir wissen nicht, ob Mister für Müller gearbeitet hat«, sagte Freiflug jetzt. »Das haben Sie doch vorhin gefragt.« Er sah auf die Uhr. »Kurz vor Mitternacht. Ich brauche was zwischen die Zähne. Wird eine lange Nacht werden. Mögen Sie Pizza?«
    Nero nickte. Ein Gedanke nahm Gestalt an. »Sie wissen, wie Mister aussieht?«
    »Klar. Wir haben Fotos.«
    »Dann legen wir diese Bilder Kea Laverde vor. Sie hat außer Müller zwei weitere Personen in dem Wagen gesehen. Wenn einer von denen Mister ist …«
    »… haben wir ein Bruchstück mehr«, bestätigte Freiflug. »O. k., machen wir.«
    Nero zückte sein Handy.

61.
    Andy Steinfelder starrt seine Frau an . Ja, sie ist seine Frau, aber sie scheint ihm so fern, ferner als jede Galaxie dort draußen hinter dem schwarzen Nachthimmel. Gina sagt nichts. Sie dreht sich auf Jennys Schreibtischstuhl hin und her. Der Stuhl quietscht leicht. Jenny übernachtet heute bei ihrer Freundin Sissi in Haidhausen. Die beiden kennen sich vom Volleyball. Gina hat zugestimmt. Andy fühlt sich hintergangen. Natürlich soll seine Tochter bei einer Freundin schlafen dürfen. Bald beginnen die Weihnachtsferien, in der Schule ist nicht viel los, und es ist ja sowieso Wochenende. Aber allein mit Gina im Haus spürt Andy seine Unterlegenheit. Er braucht Jennys Anwesenheit, sie stützt seine Sicht der Dinge. Er und Jenny gegen Gina, so sieht es aus.
    »Warum zeigst du mir das?«, fragt Gina. Sie ist sehr blass. Ihre Stimme ist gepresst und scharf.
    »Du – Film!«, sagt Andy. Sein gelähmter Arm verkrampft sich noch mehr als sonst. Er hat den Eindruck, die ganze rechte Seite seines Körpers zöge sich zusammen wie ein Gummiband. Heute Abend wird er Gina nicht aus der Verantwortung entlassen. Sie soll ihm zum Teufel noch mal erklären, was das alles zu bedeuten hat. Warum der Masseur tot ist. Ermordet.
    »Tot!«, donnert Andy.
    Ginas Gesicht wird grau. Ihre Lider ziehen sich zusammen, sie fährt sich mit der Hand durchs Haar, und Andy sieht, wie sie zittert.
    »Warum!« Seine Stimme überschlägt sich und seine geballte linke Faust rast auf Jennys Schreibtisch herab. Gina fährt zusammen, ihre Hände krallen sich in ihren Blusenkragen. Sie steht schwankend auf. Aber sie fängt sich, eilt aus dem Zimmer. Andy kommt ihr nach, die Wut verleiht ihm Kraft. Sein rechtes Bein gehorcht leidlich.
    »Du gehst nicht!«, schreit er und hält inne. Seit wie vielen Monaten hat er den ersten Satz gesprochen? Nicht dass er erklären könnte, was ein Satz ist, aber er weiß es noch, was dazugehört, damit es einer ist. In der Schule haben die Lehrer sie mit den Fachausdrücken gequält, an die erinnert Andy sich nicht, aber es gibt noch dieses andere Wissen in ihm. Er weiß, wann das, was er sagt, korrekt ist, und wann er Fehler macht. Er identifiziert die Fehler sogar. Aber er kann sie nicht ausbessern.
    »Lass mich in Ruhe, Andy!«, sagt Gina. Ihre Stimme ist fahl wie das Licht, das aus dem Wohnzimmer dringt. Andy drückt auf den Lichtschalter. Im Treppenhaus flammen die Lampen auf.
    »Warum?«, brüllt Andy. Er macht die fehlende Ausdrucksfähigkeit durch Lautstärke wett.
    »Schrei mich nicht an.«
    Andy kann nicht anders. Er greift nach Ginas Arm. Sie wirbelt zu ihm herum.
    »Wag es nicht!«
    Ihre Gesichter sind einander ganz nah. Andys Herz schlägt Dschungelrhythmen. Er spürt es gegen sein Brustbein hämmern, sein Atem rast, er keucht in Ginas Gesicht, sieht die Haarsträhnen fliegen, sieht ihren Ekel. Er schlägt zu. Sie greift sich an die Wange.
    »Du Schwein.« Sie sagt es leise, wiederholt es, sagt, »du Schwein du Schwein du Schwein«, dreht sich um und läuft ins Schlafzimmer.
    Andys Kräfte lassen nach. Er beobachtet Gina, wie sie einen Koffer packt. Er hat solche Szenen in Hunderten von Filmen gesehen. Sie kamen ihm theatralisch und überkandidelt vor.
    »Ich halte das nicht mehr aus«, murmelt Gina und kippt den Inhalt ihrer Wäscheschublade in den Koffer. »Ich halte es nicht mehr aus. Die Arbeit. Den Stress. Du hier zu Hause wie ein Drache, der alles bewacht. Du und Jenny in eurer trauten Einigkeit.« Sie trommelt mit den Fäusten

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