Schweigfeinstill
Nasenbeinbruch ist dagegen harmlos. Andy ist völlig verstört. Zum Glück kommt Jenny ihn jeden Tag besuchen.«
Ich suchte Tassen aus dem Schrank. Ich war aufgewühlt. Juliane hatte mich in den letzten Tagen fast plattgeredet. Von wegen Schuld und Verantwortung, Verrat und Vertrauen und all so was. Dass immer dann, wenn keiner von zwei Partnern bereit war, Verantwortung zu übernehmen, alles den Bach runterginge. Das wäre bei Mario und mir die Ursache allen Übels gewesen. »Du wolltest keine Anforderungen. Er auch nicht. Also ist er gegangen, als es unbequem für ihn wurde.« Recht hast du, Juliane, dachte ich und betrachtete den Zuckerstreuer in meiner Hand. Was jedoch bedeutete das konkret? Stimmte die Chemie zwischen Keller und mir? Juliane behauptete es, aber woher wollte sie das so genau wissen?
Keller räusperte sich. »Lehr ist in einem Lieferwagen umgebracht worden. Es war Zufall, dass wir den Wagen später gefunden haben. Er war in einen harmlosen Unfall verwickelt. Der Fahrer flüchtete. Im Wagen haben wir Lehrs Blut gefunden.«
»Wem gehört der Lieferwagen?«
»Alfons Gaus. Übrigens auch Eigentümer des Piranha. Und einiger anderer Kneipen.«
Ich goss Espresso in die Tassen. Keller hielt mir ein Foto vor die Nase.
»Aber, das ist Müller!«, rief ich. »Der Kerl aus der Limousine!«
Kellers Gesicht nahm einen zufriedenen Ausdruck an. Ich lachte auf: »Ein toller Einstand für Sie in Ihrem neuen Job!«
Er wiegte den Kopf.
»Wie man’s nimmt. Schreiben Sie Andys Lebensgeschichte zu Ende?«
»Ich habe die letzten Tage unentwegt darüber gegrübelt. Ich denke, ich werde es machen. Ein Buch, das man nicht fertigschreibt, drückt.«
»Armer Kerl«, bemerkte Keller und trank seine Tasse aus.
»Ich fühle mich für ihn verantwortlich, obwohl ich das nicht müsste«, gab ich zu. Juliane hatte mich wirklich windelweich gekocht.
»Ihre Freundin hat recht«, sagte Keller. »Es ist Andys Leben. Nicht Ihres.«
»Haben Sie und Juliane …?« Ich lehnte mich zurück. Nun wurde mir einiges klar. Vor einigen Tagen hätte ich mich jetzt ziemlich wichtig gemacht und eine Show abgezogen. Aber eine Grippe in Kombination mit einer Geiselnahme und Magenflattern beim Anblick eines Mannes veränderten die Vorzeichen.
Keller lächelte.
»Wir haben telefoniert«, sagte er leichthin und sah mich mit überraschend fröhlichem Gesichtsausdruck an. »Sie hatten neulich so einen wunderbaren französischen Landwein.«
Ich holte eine Flasche aus meinem Baustellenzimmer, während Keller die Gläser bereitstellte. Er kannte sich hier im Haus wirklich bestens aus.
»Was ist mit Gina?«, fragte ich. »Hat sie sich strafbar gemacht?«
»Nicht einfach zu beantworten. Wir wissen noch nicht, ob sie Lehr bei den Pornos aktiv zur Hand ging. Ob sie überhaupt wusste, was Lehr trieb, wenn er nicht Mädchen beim Strippen filmte. Wenn Gina Steinfelder schlau ist, streitet sie alles ab, was mit den harten Filmen zu tun hat, für die Valeska und Marietta vor der Kamera standen.«
»Hat Lehr Valeska umgebracht?« Juliane hatte mir von der erfrorenen Frau im Englischen Garten berichtet. Nun wurde mir klar, weshalb sie so gut informiert war. Sie hatte sich offensichtlich mit Keller angefreundet und das ein oder andere Schwätzchen mit ihm gehalten. Vielleicht stand Keller auf ältere Frauen? Auf Juliane oder diese Tiziana aus dem italienischen Buchladen? Ich bemerkte Kellers Zögern. »Sie müssen es mir nicht sagen, wenn es Dienstgeheimnisse sind«, sagte ich altklug.
»Das wissen wir noch nicht. Lehr hatte massive Schulden. Ich denke schon, dass er sich mit den harten Pornos sanieren wollte. Es gibt genug Leute, die für solche Sachen richtig gut zahlen.«
Ich schüttelte mich. Mir hatte gereicht, was ich auf Müllers Laptop gesehen hatte.
»Gina Steinfelder scheint emotional von Johannes Lehr abhängig gewesen zu sein«, fuhr Keller fort. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie aus Geldgier an harten Pornos beteiligt ist. Sie verdient selbst nicht schlecht.« Er errötete. »Meine neue Wohnung habe ich über ihr Immobilienbüro gefunden.«
»Und Carlo …?«, fragte ich. »Hat er den Stein in mein Fenster geworfen?« Angespannt wartete ich die Antwort ab. Das war der schlimmste Gedanke. Er quälte mich Tag und Nacht.
»Herr Schöll steckte ziemlich in der Patsche.«
»Das ist keine Entschuldigung!«, fauchte ich Keller an.
»Nein. Selbstverständlich nicht.« Er warf mir einen erschrockenen Blick zu. Vermutlich hatte
Weitere Kostenlose Bücher