Schweinehunde / Roman
hin und wieder an ihn gedacht und immer auch irgendwie vorgehabt, ihn mal zu besuchen, aber daraus ist nie etwas geworden. Als schlechte Entschuldigung kann ich nur vorbringen, dass ich in dieser Zeit alle Hände voll mit meinen beiden Kindern und dem Studium zu tun hatte, das ich abschließen musste. Aber bevor ich Ihnen erzähle, wie ich Per wiedergetroffen habe, muss ich Ihnen noch etwas über meinen Mann erzählen, das ist relevant.«
Sie hielt inne, bis Poul Troulsen nickte. Sie war eine glänzende Erzählerin, eine jener Zeuginnen, bei denen man sich nur zurücklehnen und zuhören musste.
»Mein Mann hieß, wie gesagt, Jeremy Floyd. Sein Vater stammte aus Kanada, seine Mutter aus Dänemark. Er selbst hat die ersten elf Jahre seines Lebens in Quebec verbracht, bevor seine Familie hierher gezogen ist. Er hat erst als Arzt in Århus praktiziert, dann eine Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie gemacht und schließlich am Rigshospital angefangen. Sein großes Interesse galt den menschlichen Sexualgewohnheiten, und nach einer Doktorarbeit über die Psyche von Sexualverbrechern bekam er die Stelle als Oberarzt in der sexualmedizinischen Abteilung. Parallel zu seiner Arbeit im Krankenhaus hat er hier zu Hause eine Privatpraxis aufgebaut, in der er Inzestopfern geholfen hat und später allen, die im Kindesalter sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Anfänglich war die Arbeit mit den Privatpatienten bloß seine Art, seine fachliche Neugier zu stillen. Indem er sowohl mit Tätern als auch mit Opfern arbeitete, konnte er sich ein umfassendes Bild verschaffen. Schließlich widmete er sich aber mehr und mehr der Privatpraxis, und er hatte schließlich lange Wartelisten. Außerdem konnte er schlecht nein sagen, und – das will ich Ihnen nicht verschweigen – das Geld war ihm auch wichtig.«
Sie streckte ihre Hand nach der Thermoskanne aus und schüttelte sie optimistisch. Sie war leer, und so stand sie auf, holte ein paar Dosen Cola aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch. Zu seiner Verwunderung öffnete sie keine davon.
»Im Herbst 2003 fand ein Klassentreffen der ehemaligen neunten Klasse meiner Schwester statt. Da hat Katja zufällig gehört, wie sehr es mit Per nach Helenes Tod bergab gegangen ist. Dass er seine Arbeit verloren und zu trinken angefangen hat. Als sie mir das erzählt hat, habe ich mein Vorhaben, ihn zu besuchen, endlich in die Tat umgesetzt. Wenn Sie wollen, können Sie das als eine Art Gegenleistung betrachten. Er hat mir geholfen, als ich Hilfe brauchte, und jetzt war die Zeit gekommen, ihm etwas zurückzugeben. Ich glaube, ich habe ihn an die zehn Mal besucht. Er war ziemlich oft betrunken oder wenigstens angetrunken, hat sich aber trotzdem gefreut, wenn ich kam. Meistens haben wir über Helene gesprochen, obwohl das Thema als solches schnell erschöpft war. Wir haben uns ziemlich im Kreis gedreht, und wenn ich ehrlich sein soll, haben mich diese Besuche mit der Zeit gelangweilt, auch wenn die Initiative immer von mir ausging. Irgendwann hatte ich dann eine Idee, wobei das eigentlich ziemlich naheliegend war. Ich habe Jeremy überredet, Per als Patienten anzunehmen. Er war nicht leicht zu überzeugen, aber zu guter Letzt ist es mir gelungen. In gewisser Weise war Per ja auch ein Missbrauchsopfer, wenn er auch nicht selbst missbraucht worden war, weshalb ich ein bisschen Druck ausüben musste, damit Jeremy mitspielte. Viel schwerer aber war es, Per zu überzeugen, sich helfen zu lassen. Anfangs hielt ich das eigentlich für schlicht unmöglich. Aber wenn Jeremy sich erst fachlich in einen Fall eingearbeitet hatte, war er ehrgeizig und gut – und außerdem glaube ich, dass Per irgendwann erkannt hat, dass er wirklich Hilfe brauchte. Auf jeden Fall entwickelte sich schließlich ein ganz normaler Behandlungsverlauf, bei dem ich nur selten einschreiten musste, wenn Per einen Termin versäumte. Zweimal musste ich ihn zur Entgiftung bringen, Antabus wollte er aber auf keinen Fall einnehmen.«
»Haben Sie ihn mal an einem Kiosk auf der Hauptstraße von Bagsværd abgeholt?«, warf Poul Troulsen fragend ein.
»Ja, das habe ich.«
»Und Sie haben damals einen silbernen Porsche gefahren?«
»Auch das ist richtig. Der gehört meinem Vater, ich selbst fahre einen Audi.«
Poul Troulsen nickte, alles passte zusammen.
»Wir haben alle Krankenhäuser akribisch abgesucht, insbesondere die Entgiftungsstationen, aber Per Clausen ist nie eingeliefert worden, jedenfalls nicht nach unserem
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