Schweinehunde / Roman
Kenntnisstand.«
Sie lächelte ein bisschen verlegen.
»Hm, Jeremy und ich … wir haben ja beide im Rigshospital gearbeitet. Können wir nicht sagen, dass wir ihm ein paarmal ein leeres Bett zur Verfügung gestellt haben? Ein bisschen abseits des Systems.«
Poul Troulsen fluchte innerlich. Genau diese Sachen machten manche Ermittlungen doppelt schwierig.
»Wie auch immer, Per fing sich wieder, und je länger er mit Jeremy redete, desto mehr Halt fand er auch wieder in seinem Leben. Die Therapie schlug ganz einfach an. Aber über den Verlauf weiß ich nicht sonderlich viel, Jeremy hat nie über seine Patienten gesprochen. Sie haben Anspruch auf Anonymität, und daran hat Jeremy sich immer gehalten. Die Patienten hatten bei uns ihren separaten Eingang, und ich durfte mich nicht einmal in meinem eigenen Garten aufhalten, wenn sie kamen oder gingen. Ein bisschen habe ich aber doch mitbekommen, paradoxerweise vor allem durch Per. Nach gut einem Jahr Therapie ging er in eine Selbsthilfegruppe.«
Sie hielt inne, und ihre Worte blieben in der Luft hängen. Wie das leise Zittern, das ihren letzten Satz begleitet hatte. Sie war alles andere als dumm und hatte sich bestimmt längst Gedanken darüber gemacht, was ihr Wissen bedeutete. Poul Troulsen spürte, wie seine Stimmung ihr gegenüber plötzlich kippte. Er musste sich zusammenreißen, um weiterhin nett zu ihr zu sein.
»Warum haben Sie sich dann nicht gemeldet?«
Seine Frage griff gleich einer ganzen Reihe von Punkten vor, und es wäre ein Leichtes für sie gewesen, erst einmal die Unwissende zu spielen. Sie versuchte aber gar nicht erst, sich an dieser unbequemen Wahrheit vorbeizumogeln.
»Eigentlich weiß ich das nicht. Vielleicht wollte ich einfach nicht mit hineingezogen werden. Außerdem kenne ich die Namen der Leute in dieser Gruppe nicht. Ich weiß nicht einmal, wie viele es waren.«
Sie starrte nachdenklich vor sich hin, bevor sie weiterredete.
»Es gibt keinen Zweifel daran, dass ich es falsch finde, diese Menschen umzubringen. Absolut falsch, und das hätte auch Jeremy so gesehen, aber eigentlich ist es ja noch gar nicht sicher, dass es da einen Zusammenhang …«
Sie brachte ihren Satz nicht zu Ende, vielleicht fehlte ihr selbst der Glauben daran. Poul Troulsen sagte voller Ernst: »Sie werden heute nicht zur Arbeit kommen, wir müssen gemeinsam ins Präsidium nach Kopenhagen.«
Emilie Mosberg Floyd spürte sofort, dass sie keine andere Wahl hatte.
»Ja, das müssen wir wohl.« Sie nickte nachdenklich und wiederholte: »Das müssen wir wohl.«
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53
A nita Dahlgren saß in der Kantine der Zeitungsredaktion. Sie war allein an ihrem Tisch, was ihr aber egal war, da sie gerade eine der Kantinenvorschriften brach und mit ihrem Handy telefonierte. Schließlich lautete eine andere, deutlich höher einzuschätzende Vorschrift, dass jeder Mitarbeiter gute Schlagzeilen liefern sollte, und die Einladung zum Mittagessen, die sie gerade von Kasper Planck erhalten hatte, kompensierte ihren Regelbruch vermutlich um ein Vielfaches. Sie ignorierte deshalb die verärgerten Blicke der Kollegen. Die überraschende Einladung schmeichelte ihr. Andererseits hatte die Sache einen ziemlichen Haken, auf den sie ihn unbedingt noch einmal ansprechen musste: »Habe ich Sie richtig verstanden, ich soll einkaufen und kochen?«
Die Frechheit des alten Mannes war grenzenlos.
»Sagen Sie mir, warum ich jetzt nicht einfach auflege? Geben Sie mir einen Grund.«
An einem der Nachbartische rief ein Kollege, dass er das für eine sehr gute Idee halte. Gleichzeitig nahm Anni Staal, wie aus dem Nichts kommend, ihr gegenüber am Tisch Platz, was in Anbetracht ihrer Körperfülle schier unglaublich war. In einer Hand hielt sie routiniert zwei Flaschen Pils, auf die sie die Gläser gestülpt hatte. Ohne sie zu unterbrechen, schob sie eine der Flaschen zu ihr hinüber. Anita Dahlgren kam zum Ende: »Doch, doch, ich weiß, dass Sie ein alter, schwächlicher Mann sind, aber … und … Ich werde das schon machen, okay. Dann sehen wir uns morgen Nachmittag um fünf.«
Sie konnte nicht weiterreden, wenn ihre Chefin nur einen Meter entfernt am Tisch saß, weshalb sie schneller eingewilligt hatte, als sie es wohl sonst getan hätte. Aggressiv richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Frau, die an ihrem Tisch Platz genommen hatte. Schlachten, die man nach außen verlor, musste man nach innen gewinnen.
»Ich trinke um diese Uhrzeit noch kein Bier. Was wollen Sie? Ich habe
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